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Taifun „Morakot“ bringt Taiwan ins deutsche Fernsehen

Taifun ZDF Karte

Wenn in Taiwan ein Hotel umfällt

Eines der wenigen theoretischen Konzepte aus meinem Publizistik-Studium, das ich in meiner Arbeit als Journalist voll und ganz bestätigt gefunden habe, ist die Nachrichtenwerttheorie. Grob gesagt: Je weiter weg ein Ereignis stattfindet und je weniger Tote es gibt, desto geringer die Chance, dass es in den Medien auftaucht. Besonders im Fernsehen.

Taiwan ist ein Paradebeispiel dafür. Hier müssten schon die Chinesen einmarschieren, damit die deutschen Medien sich wirklich flächendeckend für dieses Land interessieren. Oder ein schlimmes Erdbeben müsste sich ereignen, wie 1999. Oder ein besonders heftiger Taifun.

„Morakot“ bringt Taiwan Verwüstungen, Tod und Sendeminuten

Und genau das ist nun passiert. „Morakot“ ist über Taiwan hinweggezogen. Wir Hauptstädter hier im Norden haben eher wenig abbekommen. Regen und Wind waren ein wenig stärker als üblich, aber ansonsten lief und läuft das Leben hier seinen gewohnten Gang. Pro Jahr lassen sich hier mindestens fünf oder sechs Taifune blicken. Dann freuen sich die Menschen, wenn sie nicht zur Arbeit oder in die Schule müssen. Und sie ärgern sich, wenn es am Wochenende passiert.

Dieses Mal aber sind im Süden Taiwans die Schäden groß, es gibt Schlammlawinen, Tote und Vermisste, und das alles lässt sich von den Agenturen wunderbar auf die Schlagzeile „Schlimmste Überschwemmungen seit 50 Jahren“ reduzieren. (Wobei ich nicht beurteilen kann, ob diese Erkenntnis auf offiziellen Angaben beruht oder frei zusammenfabuliert ist.)

Typhoon Morakot Taiwan Hotel collapses

Eines ist sicher: Wäre nicht dieses Hotel umgekippt, weil das Wasser die Fundamente unterspülte – „Morakot“ hätte es trotz Todesopfern nicht so prominent in die Nachrichten geschafft.

Aber es ist nun mal ein starkes Bild, das nun wahrscheinlich die ganze Welt kennt. Außerdem herrscht in Deutschland gerade Vor-Wahlkampf-Sommerlochzeit, da sind die Fernsehsender dankbar für bildstarke Katastrophengeschichten. Selbst, wenn sie aus Taiwan kommen.

Am Sonntag liefen diese Bilder in der Tagesschau und vielen anderen Sendungen, und im heute-journal waren die „Tödlichen Taifune in Ostasien“ am Montag sogar der Aufmacher. Der Taifun war von Freitag auf Samstag über Taiwan hinweggezogen, das Ausmaß der Schäden wurde erst mit Verzögerung deutlich.

Nebenbei bemerkt: Interessant, wie immer vom bergigen Süden Taiwans die Rede ist. Als würden sich die Berge nicht von Taiwans Nord- bis zur Südspitze durchziehen. Aber da hat sich wahrscheinlich eine formulierungsfreudige Nachrichtenagentur für besonders clever gehalten.

Taiwans auf den Nachrichten-Landkarten

Schön ist es zu sehen, dass ARD und ZDF in ihren Hauptnachrichtensendungen Taiwan als eigenständigen Staat behandeln. Statt der Ein-China-Politik der deutschen Bundesregierung herrscht in den Redaktionen wohl noch gesunder Menschenverstand.

Taifun Morakot Taiwan Tagesschau

Taifun Morakot Taiwan Tagesschau Landkarte

Provinzen in Klein-, Länder in Großbuchstaben. Ob nun wohl noch jemand Jens Riewa erklären könnte, wie man „Fujian“ ausspricht, nämlich „Fu-dschiän“?

Taifun Morakot Tagesschau Landkarte

Auch für das ZDF zählt Taiwans De-facto-Status:

Taifun Morakot Taiwan ZDF Landkarte

Disclaimer: Für beide Redaktionen habe ich bereits gearbeitet. Mit der aktuellen ARD- und ZDF-Berichterstattung über den Taifun in Taiwan habe ich allerdings nichts zu tun – die findet von Hamburg, Mainz, Tokio und Peking aus statt.

Nachtrag:

Heute (16.8.) haben es mal wieder ein paar Bilder aus Taiwan in die Tagesschau geschafft. Solche Beiträge nennt man in den Nachrichtenredaktionen „die Naturkatastrophe vor dem Wetterbericht“. Wenn noch 20 Sekunden zu füllen sind, schaut die Redaktion in den Eurovision-Satellitenüberspielungen nach, was so aus aller Welt an Bildern eingelaufen ist. Ein Redakteur schneidet dann aus den spektakulärsten schnell eine Off-MAZ zusammen (d.h. der Sprecher im Studio liest den Text über die Bilder).

Als Informationsquelle dienen die mitgelieferten Bildbeschreibungen („Dopesheet“) sowie die Meldungen der Nachrichtenagenturen. In diesem Fall stammen die Bilder von Reuters TV.

Wen es wirklich interessiert: So sehen die Informationen aus, die um die Welt gehen.

Taiwan EurovisionTaiwan Eurovision Dopesheet Taiwan Eurovision Dopesheet

Aber immerhin – lieber ein bisschen Taiwan in den Nachrichten als gar keins. Wenn nur der Anlass nicht so traurig wäre.

Nachtrag II:

Ich habe gerade noch mal im empfehlenswerten Tagesschau-Archiv nachgeschaut. Bis vor ein paar Tagen gab es eine ganze Reihe solcher Kurzbeiträge von 20-30 Sekunden Länge, die auch alle online gesehen werden können. Den einzigen längeren Tagesschau-Beitrag über „Morakot“ hat ein Kollege für den Digital-Nachrichtenkanal Eins Extra zusammengeschnitten. Gute Arbeit, und schade, dass es wahrscheinlich nicht im Ersten zu sehen war.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

6 Antworten

  1. Um hier aber auch mal die Kehrseite der Medaille zu beleuchten:

    Ich denke, die Berichterstattung hier in Taiwan ist so ziemlich genau das Gegenteil der stiefmütterlichen Behandlung der deutschen Medien. Während man in deutschen Medien schon ziemlich gezielt suchen muss, um Genaueres zu den Ereignissen der letzten Tage zu erfahren, so kommt man in Taiwan ja praktisch gar nicht drumherum darüber „informiert“ zu werden.

    Ich habe mir letzte Woche Dienstag mal etwas länger die Berichterstattung der taiwanischen Nachrichtensender angeschaut und bin wieder einmal ziemlich entsetzt in welcher Weise hier über das Leid anderer Menschen berichtet wird.

    Gezeigt wurde unter anderem ein Wohnhaus, das ähnlich wie das im Video gezeigte Hotel, von reißenden Wassermassen langsam mitgerissen wurde. Etwas 50 Meter davor standen die langjährigen (ihr ganzes Leben lang) Bewohner dieses Hauses, die schreiend, weinend, verzweifelt die Zerstörung ihrer Existenz miterlebten…..in Großaufnahme zur besten Sendezeit.

    Der finale Abriss des Hauses wurde übrigens in dem etwa dreimünitigem Beitrag noch weitere zehn Mal gezeigt, die Wiederholorgien dramatischer Szenen dürften glaube wohl aus anderen Berichten bekannt sein.

    Ein paar Minuten später….ein Spendenaufruf. Auch aus Deutschland kennt man es ja, dass möglichst dramatische Bilder verwendet werden, um das Spendenaufkommen in die Höhe zu treiben (…funktioniert das eigentlich wirklich?). In Taiwan scheinen dramatische Bilder allein aber wohl nicht viel zu bringen, laufen ja rund um die Uhr. Also wurde dieser Spendenaufruf mit einem noch dramatischeren Telefonanruf bei der Notrufzentrale versehen, nach allem was ich so verstanden habe, scheint der wirklich echt gewesen zu sein.

    Danach normale Werbung. Autos, Handys, Slipeinlagen müssen ja schließlich auch verkauft werden. Natürlich kann man in der Zwischenzeit aber auch auf einen Nachrichtenkanel wechseln, gibt ja nicht nur den einen.

    Weiter geht es mit dem Bericht über den Hubschrauberabsturz, bei dem der Hubschrauber in einer Computeranimation immer und immer wieder während der Reportage zu Boden stürzt und in Trümmer zerbricht.

    Und dann war es irgendwann gegen 23.45 Uhr und auf FTV liefen die englischen Nachrichten. Ich weiß nicht, ob schon mal jemand hier die englische Version gesehen hast, da sie gerade mal 10-15 Minuten lang ist, aber sie ist auf jeden immer wieder interessant.

    Was an diesem Tag in Taiwan passiert ist, hatte ich ja bereits vorher mitbekommen. Erstaunlich für mich war aber die gesamte Machart der englischen Nachrichten, keine wilden Animationen, keine Bilder von kreischenden Menschen, keine Wiederholungen dramatischer Szenen. Sondern nüchterne Ankündigung von Beiträgen, Bilder von den Ereignissen ohne persönliche Schicksale herauszustellen, ruhiger und gelassener Beitragskommentar anstatt einer wild im Kreis herumspringenden Stimme, kurzum, in etwa so wie man die Tagesschau kennt.

    In etwas mehr als 10 Minuten habe ich mich informierter gefühlt als zuvor in 2 Stunden.

    Und jetzt frage ich mich: Liegt es nur an mir oder sind manche taiwanische Nachrichten TV-Medien wirklich so verachtend? So langsam bekomme ich immer mehr ein Problem damit, ein Land (verbal) gegen die Ungerechtigkeiten dieser Welt zu verteidigen, wenn es anscheinend keinen Bürger dieses Landes stört, dass die Privatsphäre und Würde anderer auf diese Art und Weise verletzt wird.

    Ich könnte es ja noch akzeptieren, wenn solche Berichterstattungen eine einzelne Häufung von Negativbeispielen wären (…analog zur Bild), aber die beschriebene Berichterstattung ist ja gänige Praxis, was mich schon vor Jahren zur Aussage hinreißen ließ: Für Taiwans Medien wäre ein wöchentlicher Taifun das Beste was passieren kann…..

    Im Moment weiß ich wirklich nicht, was schlimmer ist, die Ignoranz deutscher Medien gegenüber Taiwan oder die Ignoranz taiwanischer Medien gegenüber Anstand und Würde der Opfer.

    1. Die Nachrichten von dieser kommerzielle Sender sind ja wirklich öfter in der Zeitungen kritiziert worden. Die machen ihre Nachtrichten wie Apple Daily und die Inhalber dieser Sender wie TVBS, CTI sind aus Hongkong. Ettv ist nur an ihre Firmas Profile interessiert.

      Nicht nur Du, Grosse Ärger und Enttäuschungen haben wir auch, aber wie kann man denn gegen die grosse Medienkonzerne tun? Intelligente Taiwaner propagiere schon seit lange solche Nachrichten auszuschalten, oder man kann nur die ausländische Sender durch Internet anschauen.

      Ja, in Taiwan kann man nur Taiwans öffentlich-rechtliches Fernsehen PTS und FTV anschauen. Die Sender für Hakka “客家” und Ureinwohner “原民” sind aber auch nicht so schlecht.

  2. Das mit den 50 Jahren wird/wurde zumindest auch dauerhaft im taiwanischen Fernsehen angesprochen, ohnehin werde ich dir, wenn ich etwas mehr Zeit habe, noch eine Mail mit einigen Gedanken zur taiwanischen Berichterstattung geben. Da hab ich nämlich manchmal auch nur mit dem Kopf geschüttelt oder gleich umgeschaltet.

    PS: Stimmt schon…wie Jens Riewa Fujian und auch Zhejiang ausgesprochen hat, war einfach furchtbar…ohne Karte hätte ich es nicht verstanden. 😉

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