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Das Formosa-Magazin und der „Zwischenfall von Kaohsiung“

Der Anfang vom Ende einer Diktatur

Im Radioprogramm der Deutschen Welle lief heute ein Beitrag (nachlesen oder anhören), in dem ich die Geschichte des „Kaohsiung-Zwischenfalls“ von 1979 erzähle, auch bekannt als „Formosa Incident“.

Es war ein Meilenstein auf dem Weg Taiwans von der Diktatur zur Demokratie. Denn obwohl es damals zunächst so aussah, als ob das Regime die Opposition ganz im alten Stil zerschlagen hätte, entpuppte sich die Geschichte bald als Zündfunke, der die Demokratiebewegung erst richtig in Schwung brachte.

Am 10.12.1979 protestierten in Kaohsiung zehntausende Menschen für Demokratie und Menschenrechte. Aufgerufen hatte die Zeitschrift „Formosa“.

Danach ging es dann relativ schnell. 1980 wurden die Anführer der Opposition noch zu 12, 14 oder mehr Jahren Haft verurteilt, 1986 waren fast alle wieder frei und gründeten die Demokratische Fortschrittspartei DPP. Ein Jahr später wurde das Kriegsrecht aufgehoben, in den Neunzigern die Verfassung reformiert, und im Jahr 2000 wurde Annette Lu, der 20 Jahre zuvor noch der Schauprozess gemacht worden war, Taiwans Vizepräsidentin. Und ihr Verteidiger Chen Shui-bian Präsident.

Etwa 10.000 Menschen versammelten sich in Kaohsiung dort, wo 30 Jahre zuvor die Demonstration stattgefunden hatte.

Ich war am Samstag in Kaohsiung, wo mehrere Veranstaltungen rund um den 30. Jahrestag stattfanden. Es gab eine Tagung, Ausstellungen und eine große Kundgebung auf dem zentralen Platz mitten in der Stadt, wo 1979 die große Protestkundgebung stattfand, die damit endete, dass Zehntausende von der Militärpolizei auseinandergetrieben wurden. Ein paar Tage später kamen dann die Verhaftungen.

Chen Chu als Oppositionsführerin 1979 in Kaohsiung. Drei Tage später wurde sie verhaftet und saß mehr als sechs Jahre in Haft.
Heute ist Chen Chu Bürgermeisterin von Kaohsiung.

Kaohsiung versteht sich, vielleicht vergleichbar mit Leipzig, als „Heldenstadt“. Wenn die Menschen hier nicht im entscheidenden Moment Courage gezeigt hätten, wäre die Geschichte vielleicht anders veraufen.

Aktivistin ist heute Bürgermeisterin

Bürgermeisterin ist Chen Chu, eine Wortführerin der Dissidenten von damals. Sie saß sechs Jahre im Gefängnis dafür, dass sie Demokratie und Menschenrechte forderte. Der Mut scheit sie nicht verlasen zu haben. Heute scheut sie nicht davor zurück, China zu verärgern, wenn es sein muss. In diesem Sommer konnte sie in ihrer Stadt die World Games ausrichten, die größte internationale Sportveranstaltung, die je in Taiwan stattfand.

Die Zeitschrift „Formosa“ war das Sammelbecken von Taiwans Oppositionsbewegung und brachte es 1979 auf vier Ausgaben.

Aber zurück zum Kaohsiung-Zwischenfall. Wie das 228-Massaker ist er eines der Ereignisse, deren Bedeutung man zumindest in groben Zügen kennen muss, wenn man über Taiwan reden will, sprich: durch jenes Minenfeld irren, das sich zwischen ROC und PRC, DPP und KMT erstreckt. Hier steht eine brauchbare Zusammenfassung mit einem Link auf ein interessantes weiterführendes PDF-Dokument.

1980 begann im Jingmei-Militärgefängnis von Taipeh der Schauprozess gegen acht Anführer der Oppositionsbewegung. Sie wurden zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.
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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

6 Antworten

  1. Denkt doch auch mal darüber nach, wie voel Hoffnung in dieser Entwicklung liegt. Ein Land, das noch 1979 handeln konnte wie jede andere Diktatur, wird dann 10- 12 Jahre später zum Beispiel für eine demokratische Entwicklung. Wie viele Schlaumänner versuchen hier in Europa zu erklären, dass Demokratie und Asien/China/der Konfuzianismus etc. nicht zusammenpassen. Sie verweisen immer wieder auf das Beispiel VR China. Dass doch bedeutende Elemente der Demokratie in Taiwan vorhanden sind, z.B. Meinungsfreiheit und eine aufmerksame Gesellschaft, verschweigen die einfach.

  2. @林道民
    Also nochmal: In diesem Beitrag geht es _nicht_ um die aktuelle Politik in Taiwan.

    Es geht darum, wie Taiwan von einer Diktatur zur Demokratie wurde. Und um Menschen, die dafür ein hohes Risiko eingegangen sind und viel geopfert haben.

    Wer bei der bloßen Erwähnung von Begriffen wie DPP oder Chen Shui-bian reflexartig auf parteipolitische Sprechblasen zurückgreift, verrät damit eine Menge über sein Geschichtsbewusstsein.

    Genau diese Lagerbildung ist es doch, die verhindert, dass die Menschen in Taiwan sich endlich mal auf ein gemeinsames Ziel konzentrieren können, statt sich ständig gegenseitig an die Gurgel zu gehen.

  3. Ich als Taiwan Chinese, think Alex is right.

    In 8 years the DPP the economy went bad and even Germany thinks that Taiwan is just a trouble maker.

    It’s time for new hope and change!

  4. Danke für den Lacher in Deiner Antwort auf „Alex“!
    Ist übrigens ein sehr schöner Beitrag geworden für die DW! Ich hab mir als Kontrastpunkt gleich im Anschluss daran das Interview mit Ma Ying-joke durchgelesen und fand, dass man seinen Standpunkt erstaunlicherweise recht deutlich herauslesen kann, trotz der recht albernen Fragen. Für mich kommt dabei heraus: Vereinigung ist für ihn mindestens ebenso eine Option wie de jure-Unabhängigkeit, nur eben nicht in der deutschen Form. (Gott sei Dank! Oder: Lieber Herr im Himmel, lass es keine leeren Worte sein!) An einer anderen Form arbeitet er ja bereits…

  5. „Demokratie und Menschenrechte“ – haha, man sollte aber auch nicht vergessen, dass sich viele DPP’ler öffentliche Gelder in die eigenen Taschen bzw. in die Schweiz geschaufelt haben. So ist es nur recht und billig, dass sie nicht mehr an der Macht sind und hoffentlich wegbleiben.

    Irgendwie habe ich das Gefühl, du bist ein Fan der DPP und nicht von Ma Yingjiu…

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