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Von Politik und kaputten Nieren: Piratensender in Taiwan

Öfter mal was Neues: Dies ist ein Gastbeitrag von Jens Kastner, der in seinem Blog auch über andere interessante Dinge schreibt.

Nachdem die Wahl von Taiwans oppositioneller Democratic Progressive Party, der DDP, gewonnen war, verbreiteten Piratensender triumphierend die Siegesnachricht. Die Moderatoren vergaßen auch nicht die Hörer zu erinnern: „Taiwan hat gesiegt, das wird der Kuomintang-Regierung eine Lehre sein. Beim Lehre erteilen aber nicht die Gesundheit vergessen, also ganz schnell zum Hörer greifen und Gesundheitsartikel bestellen! Für Taiwan!“

Nach dem Jahresbericht des amerikanischen Nierenerkrankungsdatensystems USRDS von 2009 werden in keinem Land der Welt mehr Dialysen durchgeführt als in Taiwan. Die fünf Gebiete des Landes, in denen am häufigsten das Blutreinigungsverfahren nach Nierenversagen angewandt wird, sind Chiayi City, Pingdong County, Tainan County, Nantou County und Kaohsiung County. Ist es ein Zufall, dass genau in diesen Gegenden die Standorte und Hauptsendegebiete der Piratensender liegen?

Bis zum Jahre 1987 war Taiwan eine Diktatur, die mit Hilfe des Kriegsrechts regiert wurde. Erst 1996 wurde frei und demokratisch gewählt, und dass es dazu kam, war zu einem großen Teil Piratensendern zu verdanken, die eingerichtet wurden, um über den Äther gegen die Herrschaft der Kuomintang unter Präsident Chiang Ching-kuo, dem Sohn von Generalissimo Chiang Kai-shek, zu wettern.

Seitdem die Kuomintang mit Ma Ying-jeou die letzen Präsidentschaftswahlen gewonnen hat, ist der Anlass zum „Über die Regierung schimpfen“ wieder gegeben, und die Anzahl von Piratensendern in ganz Taiwan wird heutzutage auf 190 geschätzt. Die meisten sind konzentriert im Zentrum und im Süden des Landes, wo traditionell die DPP unterstützt wird.

Immer noch werden die Sender ohne Lizenzen betrieben, und da Illegalität nun mal das Ausbleiben von Werbeeinnahmen mit sich bringt, verdienen sich die meisten Betreiber durch Medikamentenverkauf den Lebensunterhalt. Und so entsteht eine seltsame Symbiose von Quacksalbertum und Politik.

„Frau Xiumei, konnten Sie denn gut schlafen von den Pillen, die ich Ihnen letzes mal verkauft habe?“ Jianzai, der Piratensendermoderator nimmt live auf Sendung die Anrufe seiner Hörer entgegen. Jianzai ist gut im flirten, und Frau Xiumei kichert am Telefon. Blumig reden ist sein Spezialgebiet, in seinen Sendungen verkauft Jianzai Töpfe, Baumwollstrümpfe, Medikamente und Glücksbringer und macht nebenbei kräftig Werbung für die DPP. Vor allem Hausfrauen Ende Fünfzig sind begeistert.

„Herr Gangbo, ist der Kohl hinter Ihrem Haus schon erntereif?“ Jianzai nimmt den nächsten Anruf entgegen und plappert munter drauflos. Eigentlich weiß er gar nicht, wo Herr Gangbo wohnt, aber bei seinem letzten Anruf hatte Herr Gangbo den Kohl erwähnt, und Jianzai macht sich immer genaue Notizen beim Live-Telefonieren mit den Hörern. Das zahlt sich aus: Kaum auf den Kohl angesprochen, bestellt Herr Gangbo ein paar Packungen Medikamente.

„Könnte ich nicht so gut reden, würde ich keine Medikamente an den Mann bringen können“, sagt der Piratensendermoderator Jianzai nicht ohne Stolz, „besonders mit den älteren Bauern klappt das gut.“

Nur einen Steinwurf entfernt von Jianzais Studio – einem ausgedienten Schiffscontainer – steht der Bauer Lin Quan-sheng auf seinem Feld und macht, was ein Bauer so macht: Er jätet. Von Zeit zu Zeit krächst eine Stimme aus dem kleinen Radio in seiner Tasche: „Wenn Sie diese Art von Kopfschmerz haben, wählen bitte Sie die kostenlose Informationsnummer…“
Eine strenge weibliche Stimme ermahnt danach: „Nicht vergessen, auch den Familienangehörigen weiterempfehlen! Dann begehen Sie eine gute Tat.“
Lin griff schon oft zum Hörer, und weiterempfohlen hat er auch. Der 65-Jährige ist wie fast alle Taiwanesen durch die Nationale Krankenversicherung versichert, trotzdem setzt er seit vielen Jahren schon auf Eigenbehandlung durch Selbstmedikation.

Die Gesundheitsprobleme, die aus diesem Phänomen zu enstehen scheinen, sind besorgniserregend. Der Vizepräsident von Kaohsiungs E-Da Krankenhaus Tsan-Jung Yu und der Spezialist für Nierenerkrankungen Zhang Min-Yu machten in einem Fernsehinterview darauf aufmerksam, dass die Zahl der Bürger Taiwans, die wegen falscher Einahme von Medikamenten Nierenversagen erleiden, ständig steige. Yu und Zhang erklärten, dass sie nicht anders könnten als die Schlussfolgerung zu ziehen, dass die besondere Höhe der Anzahl der Nierenerkrankungen im Süden Taiwans mit den Medikamentenverkauf der Piratensenden im Zusammenhang stehe.

Ungeachtet dessen vermischt Moderator Jianzai weiterhin Verkaufsförderung von pharmazeutischen Produkten und Politik: „Ach, Frau Ayu! Sie haben ja schon so lange nicht mehr angerufen, ich hatte schon gedacht, Sie wären mit der Familie nach Taipeh gefahren, um gegen Ma Ying-jeou zu demonstrieren!“

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

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