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Relativ pflegeleicht: Taiwans Teenager

Teenager Jugendliche

So eine Meldung lässt aufhorchen: Taiwans Polizei hat vor einiger Zeit zwei 15-Jährige Jungen festgenommen, die sich offenbar als Zuhälter für zwei zwölfjährige Mädchen betätigt hatten. Die hätten mit dem in Stundenhotels verdienten Geld vor allem Markenkleidung gekauft, hieß es.

Die Boulevardmedien hier stürzen sich gern auf Geschichten von minderjährigen Messerstechern und Drogendealern. Ist Taiwans Jugend also verdorben und verkommen? Von wegen. Auch ohne direkt vergleichbare Statistiken bin ich mir ziemlich sicher, dass der durchschnittliche Teenager in Taiwan braver ist als in Deutschland.

Die Gründe liegen zum einen im traditionellen chinesischen Gesellschaftsmodell. Da wird Autorität großgeschrieben und nicht hinterfragt. Der Kaiser gebietet den Untertanen, der Lehrer den Schülern und die Eltern ihren Kindern. In Stein gemeißelt hat diese Ideologie Konfuzius, der dafür so sehr verehrt wird, dass man ihm sogar Tempel errichtet hat. Jedes Jahr wird sein Geburtstag als Lehrer-Tag gefeiert, und Schüler landauf, landab danken ihren Pädagogen dafür, dass sie an ihrem Wissen teilhaben dürfen.

Obwohl Taiwans Gesellschaft sich in den letzten Jahrzehnten gewaltig modernisiert und gewandelt hat, gilt auch in den meisten Familien nach wie vor, dass Kinder ihren Eltern zu gehorchen haben. Dazu gehört auch, sich in der Schule gefälligst anzustrengen, um der Familie keine Schande durch schlechte Noten zu machen. So verbringen die meisten Jugendlichen den größten Teil ihrer Zeit im Klassenzimmer, in der Nachhilfeschule oder zu Hause über Bücher gebeugt und haben wenig Zeit, auf dumme Gedanken zu kommen. Dafür ruinieren sie sich die Augen: Zwei von drei 15-Jährigen sind kurzsichtig, was ein Weltrekord sein dürfte.

Auch auf der Uni hört die soziale Kontrolle nicht auf. Vor einiger Zeit haben Studenten beim Ausflug in die Berge ihre Namen auf eine Schrifttafel in mehr als 3200 Meter Höhe gekritzelt – und dazu den Namen ihrer Hochschule. Als die davon erfuhr, verdonnerte sie die Studenten dazu, sich auf den Weg zu machen und die Schmierereien wieder zu entfernen.

So wünschenswert soziale Kontrolle und behütetes Aufwachsen sein mögen, führen sie doch dazu, dass viele junge Taiwaner kaum eine Möglichkeit haben, Selbstständigkeit zu erlernen und Grenzen auszutesten. So stolpern sie nach dem Studium ziemlich unreif ins wahre Leben. Wenn sie dann heiraten und selbst Eltern werden, haben sie vielleicht drei oder vier Beziehungen hinter sich – im Schnitt.

Es gab allerdings mal eine Zeit, als Jugendkriminalität tatsächlich ein spürbares Problem wurde: In den frühen Neunzigern, als Taiwans Kriegsrecht gerade aufgehoben und die Demokratie noch nicht voll etabliert war. Die staatliche Autorität war geschwächt, und Jugendliche spürten plötzlich Freiräume, die vorher undenkbar waren. Aus diesen Jahren stammen Erzählungen von Motorroller-Gangs, Autodiebstählen und Drogenhandel. Heute sind die Übeltäter von damals wahrscheinlich selbst Eltern.

Eine Folge aus meiner Taiwan-Kolumne im heimatlichen Anzeigenblatt.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

2 Antworten

  1. „Als die davon erfuhr, verdonnerte sie die Studenten dazu, sich auf den Weg zu machen und die Schmierereien wieder zu entfernen.“

    Richtig so! haha

    Das mit der extremen (Häufigkeit der) Kurzsichtigkeit ist mir hier auch schon aufgefallen; wobei es in der Familie meines Mannes von Großvaters Seite her zu kommen scheint (dieser wäre damals fast ganz erblindet, ein Auge konnte aber noch irgendwie gerettet werden).

    Meiner Meinung nach sind die komplizierten Schriftzeichen (die auch manchmal im Internet bzw. am Computer wirklich etwas zu klein dargestellt werden) mit Schuld an den ’schlechten Augen‘.
    Die westlichen Buchstaben sind nun mal weniger anstrengend fürs Auge als die Langzeichen.

    Hoffen wir, dass in taiwanischen Schulen dann doch bald mal Selbstständigkeit besser gefördert werden wird als heutzutage!

  2. Die Frage ist aber auch, warum ist Markenzwang soviel intensiver in Taiwan als anderswo? Es gibt quasi keine Teenager der nicht mit Nike, Adidas und Co. rum rennt. Vielleicht endet das irgendwan so wie in Japan? Wo sich Minderjährige an reiche Männer hängen um anschließend noch mehr Markenkleidung und so weiter zu kaufen?

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