Sie sind schwul, und das ist gut so!
Taiwaner sind eher schüchtern, reden lieber nicht öffentlich über Sex und halten sich an gesellschaftliche Traditionen? Im Großen und Ganzen mag das so sein. Wären Sie aber gestern in Taipeh gewesen, hätten Sie einen ganz anderen Eindruck gewonnen.
Lautstark und fröhlich zogen zehntausende Menschen quer durch die Innenstadt. Viele schwenkten Regenbogenfahnen, einige zeigten viel Haut. Muskulöse Lederkerle marschierten einträchtig neben zierlichen Studentinnen. Sie feierten sich selbst und forderten die Einführung der Ehe für gleichgeschlechtliche Partnerschaften.
Es war Asiens größte Schwulen- und Lesbenparade, und dass sie jedes Jahr in Taipeh stattfinden kann, ohne dass die Teilnehmer beschimpft oder angegriffen werden, stimmt mich froh.
Damit Sie die Atmosphäre nachvollziehen können, habe ich dieses Video gedreht:
Schwulenparade in Taiwan: Ein Plädoyer für Toleranz
Wie tolerant und gesund eine Gesellschaft ist, zeigt sich an ihrem Umgang mit Minderheiten und schwächeren Gruppen. Fremdenhass, Diskriminierung von Frauen und Schwulenfeindlichkeit sind für mich Einstellungen, die gleichermaßen auf den gesellschaftlichen Müllhaufen gehören. Niemand hat Einfluss darauf, als was er geboren wird.
Und ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der jemand sich dafür rechtfertigen oder verstecken muss. Deshalb bin ich nun schon zum fünften Mal bei dieser Parade mitmarschiert. Um Freunde zu unterstützen, ein Zeichen zu setzen, aber natürlich auch, um Spaß am Anblick der bunten Menge zu haben.
Schon 2009 hatte ich diesen Fernsehbericht von der Taiwan Pride Parade gedreht:
Taipehs Schwulenparade in der Tagesschau
Dieses Jahr hat nun sogar die ARD ein paar Sekunden Zeit gefunden, um in der 20-Uhr-Tagesschau einige Sekunden Bilder von „Asiens größter Homosexuellenparade“ unterzubringen: Zum Tagesschau-Video.
Während die meisten Teilnehmer sich ganz zivil kleiden und höchstens eine Regenbogenfahne auf die Backe schminken, gibt es auch Paradiesvögel, die sich schwer in Schale werfen. Federboas, Cowboyhüte, Ketten und Leder oder einfach nur ein knappes Badehöschen – wer damit ein Problem hat, muss ja nicht hingucken.
Tipp: Eine schöne Fotogalerie mit Motiven der Parade 2014
Die meisten Menschen am Straßenrand jedenfalls reagieren amüsiert bis verblüfft, wenn der Zug dieses Christopher Street Day a la Taiwan vorüberzieht. Böse Blicke sind mir keine aufgefallen. Viele Teilnehmer, die eigens aus Ländern wie Japan, Malaysia, Indonesien oder Singapur anreisen, beneiden Taiwans Schwule wohl um ihre Freiheiten. Die selbst bezeichnen sich übrigens selbst als „Genossen“ (同志) – der selbe Begriff, den man drüben in China für Parteikader verwendet.
Das heißt nun nicht, dass wirklich alles rosarot ist. Seit die Parade vor mehr als 10 Jahren mit ein paar hundert Teilnehmern begann, tragen einige sicherheitshalber Masken, um daheim nicht in den Medien erkannt zu werden. Wer sich in Taiwan offen zu seiner Homosexualität bekennt, stößt besonders in der eigenen Familie auf Widerstände.
Letztes Jahr war’s besonders schräg: Meine Fotos und Videos der Taiwan Pride Parade 2012
Für viele Eltern ist es ein schwerer Schlag, wenn sie erfahren, dass es keine Enkelkinder geben wird, und nicht immer zeigen sie Verständnis. Wer weit weg vom Elternhaus in der Großstadt lebt, führt oft ein Doppelleben. In meinem Bekanntenkreis gibt es mindestens zwei Fälle, die ihre Eltern noch nicht eingeweiht haben. Ob die sich ihren Teil denken, weiß ich nicht.
Eins ist sicher: Wenn Sie nächstes Jahr gerade in Taipei sind, sollten Sie sich die Taiwan Pride Parade 2014 nicht entgehen lassen. Dies ist ein Aspekt von Taiwans Gesellschaft, den man erleben muss und der sich kaum in Reiseführern findet. Den Termin finden Sie demnächst sicher auf der Homepage.
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