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Ein Milliardenkonzern suchte eine Location für ein Basketballturnier. Die Wahl finde ich total geschmacklos.

Zellentuer Green Island

Willkommen zur Korbjagd im Kerker

Was ist gerechtfertigt für Publicity? Gelten in einer Gedenkstätte andere Regeln? Fragen, die sich nun Taiwans Behörden und ein nicht ganz unbekannter Energy-Drink-Hersteller aus Österreich stellen müssen.

Zellentuer Green Island

Es ist ein bedrückender Ort in idyllischer Umgebung. Nur einen Steinwurf vom Pazifikstrand, am Fuße dicht bewaldeter Hügel, steht ein altes Gefängnis. Betonmauern, Stacheldraht, schwere Stahltore und rostige Gitter. Auf die Wände gemalte patriotische Parolen blättern langsam ab. Die Sonne brennt, die Anlage ist verlassen.

Gefaengnishof Green Island

Ab und zu kommen Touristen, die eigentlich Inselurlaub machen. Zögerlich betreten sie kahle Zellen, in denen bis zu zehn Häftlinge zusammengepfercht waren. Im Erdgeschoss des Zellentraktes sehen sie sich Ausstellungstafeln an. Denn dieser Ort, in dem Taiwan einst seine politischen Gefangenen einkerkerte, ist heute Museum und Gedenkstätte. Und bald Schauplatz für ein Red Bull-Basketballturnier.

Lesetipp: Informationen über das Gefängnis

Green Island Gang

Das politische Gefängnis auf Lüdao (Green Island)

Um das kleine Eiland Lüdao zu erreichen, muss man von Taiwans Südostküste aus eine gute Stunde mit dem Schiff übersetzen. Die „Grüne Insel“, so heißt sie übersetzt, ist heute ein beliebtes Urlaubsziel. Doch als Taiwan noch eine Diktatur war und per Kriegsrecht regiert wurde, hat das Regime tausende seiner Gegner und alle, dies es dafür hielt, hierher verfrachtet und eingesperrt. Manche kehrten erst nach Jahrzehnten wieder nach Taiwan zurück. Erst 1987 konnten alle Häftlinge das zynischerweise „Oasis Villa“ genannte Gefängnis verlassen.

Green Island Zelle

Vor drei Jahren habe ich hier schon einmal über das Gefängnis berichtet.

Lesetipp: Ein Ausflug zu Taiwans Gefängnisinsel

Red Bull will hier Basketball spielen

Dieser Ort hat einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Und so war ich erstaunt, als ich vor einigen Monaten erfuhr: Red Bull, der österreichische Energy-Drink-Hersteller und Extremsport-Sponsor, will hier am 6.9. ein Basketballturnier veranstalten. Im Hof des Gefängnisses. „King of the Rock“ heißt es und hatte bislang auf Alcatraz stattgefunden (deutsche Homepage). Die Marketingkampagne spielt mit Knast-Klischees („Bist Du hart genug?“), die vielleicht auf San Franciscos früheres Schwerverbrecher-Gefängnis passten, in diesem Zusammenhang aber schlicht geschmacklos sind.

Dieses Video kommt mir zum Beispiel fragwürdig vor:

„Built on belief and determination“? Was soll das bedeuten?

Darf ein Ort der Verfolgung, wo ausschließlich politische Gefangene inhaftiert waren, Dissidenten, Autoren, Künstler und Intellektuelle, als Kulisse herhalten für ein kommerzielles Sportspektakel? Könnte man sich ein Fußballturnier in Neuengamme vorstellen, oder Beachvolleyball in der Berliner Gedenkstätte Topographie des Terrors?

Ich nicht, und deswegen versuchte ich mehr herauszufinden. Wer hatte das abgenickt, und störte sich sonst niemand daran?

Behörden und Ex-Häftlinge sind einverstanden…

Was ich erfuhr, überraschte mich zunächst. Nicht nur die Verwaltung des Gefängnismuseums, auch Vertreter der früheren Häftlinge waren einverstanden. Sie wollten einfach jede Gelegenheit nutzen, Taiwans Geschichte und die Gedenkstätte in der Welt bekannt zu machen, erzählten sie mir beim Treffen in der Gefängnis-Gedenkstätte Jingmei in Taipeh – noch so ein Ort der Verfolgung.

Dass Anfang September Sportler aus 26 Ländern kommen und anschließend Videos vom Turnier global verbreitet werden, sahen sie als Chance und hofften darauf, von Red Bulls Marketingmacht zu profitieren. „So lange es hilft, Taiwans Geschichte und das Wissen um den Weißen Terror in der Welt bekannt zu machen, ist es und recht“, sagten sie mir.

…aber nicht mit allem

So weit so gut. Aber wieso schwieg die internationale Werbekampagne sich dann über die Geschichte aus, ignorierte die Hintergründe und erweckte falsche Eindrücke? Als ich den hochbetagten Ex-Insassen Ausdrucke vorlegte, dämmerte ihnen, dass ihre Hoffnungen wohl enttäuscht worden waren. „Das war so nicht abgesprochen“, sagte auch der Verwaltungschef. Nachbesserung wolle er verlangen.

Straefling Screenshot

Red Bull kontaktierte ich auch und erhielt eine ausweichende Antwort:

Red Bull hat Samasana Island auf die gleiche Weise ausgewählt, wie es all seine Event-Locations auswählt: sehr sorgfältig, unter vollständiger Berücksichtigung der örtlichen Vorschriften und besonderen Anforderungen der lokalen Behörden.

 

Red Bull reagiert auf Kritik

Doch das plötzliche Interesse muss hinter den Kulissen doch für Wirbel gesorgt haben. Plötzlich sahen einige Internetseiten anders aus. Ein Foto eines in seine Ketten beißenden bulligen Häftlings, das den ehemaligen Insassen besonders sauer aufgestoßen war, verschwand. Und auch historische Hintergründe wurden nicht mehr komplett totgeschwiegen (finden Sie hier den entsprechenden Link?).

Über das Thema habe ich auch für die Frankfurter Allgemeine Zeitung berichtet: Hier steht der ganze Text online.

Green Island Artikel

Müsste ich entscheiden, würde diese Sportveranstaltung überhaupt nicht an dieser Stelle stattfinden. Aber zu Glück geht es nicht nach mir, und die zuständigen Taiwaner setzen andere Prioritäten. Debattiert wird die Veranstaltung in Taiwan mittlerweile aber auch.

Wenn Red Bull sich nun zumindest ein Stück weit seiner Verantwortung stellt und die Widersprüche offen legt, ist das auf jeden Fall ein Fortschritt. Denn Taiwan hat es verdient, dass die Welt mehr über seine Geschichte erfährt.

Eine Gefängnis-Gedenkstätte als Sportarena – finden Sie das in diesem Fall angemessen?

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

3 Antworten

  1. Der Vergleich mit Neuengamme und Prinz-Albrecht-Strasse ist absolut unangemessen. Beide stehen fuer organisierten Voelkermord. Davon kann im Fall Green Island keine Rede sein. Solche unpassenden Vergleiche werden leider auch in akademischen Diskussionen in Taiwan viel zu leichtfertig gezogen. Dem sollte man nicht noch weiteren Vorschub leisten.
    Der verlinkte Artikel in der Taipei Times am Ende des Beitrags zeigt, dass das Thema inzwischen in Taiwan differenzierter diskutiert wird. Dazu offenbar den Anstoss gegeben zu haben, ist dennoch das Verdienst des Beitrags!

    1. Bei Neuengamme muss man selbstverstaendlich praeziser von massenhafter Vernichtung durch Arbeit und Massenmord sprechen. Da war der Finger wieder zu schnell auf dem „Send“-Button … Aber der Vergleich zu Green Island bleibt unangebracht.

      1. Hallo Christoph, danke für den Kommentar! Ja, mit den historischen Vergleichen ist das so eine Sache, meist hinken sie. Die grundsätzliche Frage „Was ist an belasteten Orten angemessen?“ stellt sich dennoch ähnlich.

        In dem verlinkten Artikel wird doch sogar ein Auschwitz-Vergleich gezogen, das ist ja auch gewagt…

        Viele Grüße!
        Klaus

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