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3 Gründe, warum Taiwaner ganz anders ticken als Deutsche

World Games deutsche Fahne

Kennen Sie auch diese WTF-Momente in Taiwan?

Wenn ich durch Taipeh radle, fallen mir manchmal Dinge auf, die ich erst beim zweiten Hinsehen wirklich fassen kann.

Schauen Sie sich mal diese beiden Fotos von Radwegen an:

An der Guangfu S. Rd.

Bushaltestelle mitten auf dem Radweg

An der Nanjing E. Rd.

Fahrradständer mitten auf dem Radweg

Na? Und in meiner niedersächsischen Heimatstadt regt man sich wegen ein paar fehlender Schilder für eine Umgehungsstraße auf.

Wenigstens hat da niemand eine Bushaltestelle mitten auf die Fahrbahn gebaut!

Wie kann so etwas passieren?

Hat niemand aufgepasst? Und wieso ändert man das nicht schleunigst?

Wenn ich jetzt ein wenig verallgemeinere, bitte ich um Nachsicht. Ich glaube, nach mehr als fünf Jahren im Land kann ich mir das erlauben.

Und bitte nicht so ernst nehmen! Vor mir aus kann ein Taiwaner auch schreiben „Die Deutschen haben keinen Humor und sind ständig schlecht gelaunt.“ Damit fühle ich mich persönlich zwar nicht gemeint, aber ein Körnchen Wahrheit steckt doch in fast jedem Klischee.

(Und auch das gibt es: Die 6 besten Radwege in Taipeh)

Wie dem auch sei. Ich glaube, bei diesem Phänomen spielen drei Gründe mit rein:

1. Taiwaner sind keine Perfektionisten

„Wenn eine Sache es wert ist, sie zu tun, dann ist sie es auch wert, sie gut zu zun.“ So ähnlich ticken Deutsche doch. Bevor einer etwas tut, macht er einen Plan. Detailliert. Exakt. Solide. Und hinterher passt alles. Egal ob er ein Haus baut, einen Nagel in die Wand schlägt oder den Urlaub plant. (Elbphilharmonien und Hauptstadtflughäfen bilden eine Ausnahme.)

Der Taiwaner an sich – und nicht nur er – denkt anders. „Chabubuo haole“ (差不多好了) ist eine beliebte Redensart hier, und sie lässt sich mit dem bayerischen „Passt scho’!“ angemessen übersetzen. Ist doch nicht schlimm, wenn eine Bushaltestelle auf dem Radweg steht – dann fährt man halt drum herum! Ist doch selbsterklärend, oder?

Der Mangel an perfektionistischem Sicherheitsdenken führt auf der anderen Seite übrigens zu größerer Flexibilität, und das ist ja nicht schlecht. Taiwaner gehen auch mal ein Risiko ein und stellen sich rasch auf neue Umstände ein. Wenn ein Fehler passiert, wird sich schon noch Abhilfe finden.

2. Taiwaner scheuen Verantwortung

Huch, das klingt jetzt aber negativ. Ist aber nicht so gemeint, und vor allem ist es nicht die Schuld des Einzelnen. Eine Tendenz zum Konformismus ist dieser Gesellschaft schon noch anzumerken. „Ein Nagel, der heraussteht, wird eingeschlagen“, lautet ein weiteres chinesisches (oder auch japanisches) Sprichwort. Das heißt: Wer nicht Chef ist, muss sich auch nicht die Gedanken des Chefs machen. Bringt doch nur Ärger. Und es erwartet auch niemand.

Vielleicht hat also ein Arbeiter, ganz nach Plan, die Linien für den Radweg gezogen. Und ein anderer hat, nach seinem Plan, die Fahrradständer angeschraubt. Dass da etwas nicht passt, mag ihnen aufgefallen sein – aber warum sich den Kopf zerbrechen? „Kann man nichts machen“ (沒辦法), das Sprichwort gibt’s auch im Chinesischen.

3. Taiwaner können über vieles hinwegsehen

Ich bin mir sicher, dass nur wenige der tausenden von Menschen, die täglich an den oben fotografierten Stellen vorbeikommen, diese Seltsamkeiten überhaupt wahrnehmen, geschweige denn als Problem sehen. Da muss erst so ein komischer Ausländer kommen, mit seinem Blick von außen.

Dem fällt ja auch auf, wie unansehnlich die meisten Hausfassaden sind, und die Leute fühlen sich trotzdem wohl dahinter (und die Wohnungen sind oft viel schmucker als die Häuser).

Fassade Stadtbild

Aber die Menschen in Taiwan finden sich auch mit ganz anderem ab.

Zum Beispiel mit der traurigen Tatsache, dass fast der ganze Rest der Welt sie nicht als Staat anerkennt, obwohl sie eigentlich alles richtig machen (Demokratie, Wirtschaft… von Bushaltestellen auf Radwegen mal abgesehen).

Oder damit, dass China ständig mehr als 1000 Raketen auf Taiwan richtet, ihre großen Firmen aber trotzdem fast alle Fabriken aufs Festland verlagert haben und dort fleißig Geld verdienen.

Bringt doch nichts, sich ständig darüber den Kopf zu zerbrechen. „Lebbe geht weider“, das letzte Sprichwort für heute.

Mal ehrlich: Wer seit Jahrzehnten mit solchen Widersprüchen lebt, soll der sich wegen einer Radwegmarkierung aufregen?

Und übrigens: Der Fahrradständer vom zweiten Foto wurde mittlerweile verlegt, die Linien neu gezogen.

(Update: Auch die Bushaltstelle steht nicht mehr mitten auf dem Radweg.)

Na also.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

11 Antworten

  1. Es gab mal die Website mybikelane.com, wo solchiges dokumentiert wurde, insbesondere Autos, die drauf parkierten. Mein Fazit nach den Bildern war, breite Radstreifen laden geradezu zum Parkieren ein :-/
    In der Zwischenzeit gibt es ein paar ähnliche Projekte.

    Aber nicht nur Taipeh schafft das, auch anderswo, an stark durchregulierten Standorten stehen Pfosten und Strassenlaternen mitten in den Radwegen
    https://www.zueriwieneu.ch/report/5332
    wird der Schnee dort zwischengelagert
    https://www.zueriwieneu.ch/report/5785
    sowie temporäre Verkehrsschilder für die Autos hingestellt (manchmal auf Kopfhöhe), die Radwegführung ist öfters eine absolute Zumutung (z.B. „Mischverkehr“ mit Gehenden oder 3x warten bei Ampeln zum Linksabbiegen, die Autos daneben reicht eine), sie münden brüsk in schmalen 50er Spuren usw.

    Zudem hören die Radwege üblicherweise dort auf, wo es gefährlich wird oder sie gehen sowieso vergessen beim Planen :-/
    Auch wenn die Gefährlichkeit offensichtlich ist, wird erst etwas angepasst, wenn es Tote gibt oder viele Unfälle passieren. Leider.

    Manchmal habe ich das Gefühl, die Planenden kennen Radfahren nur vom Hörensagen und litten dabei allesamt unter akutem Bleifussentzug genauso wie die Mitten-auf-den-Radweg-Schilderhinsteller (wenn sich an der schmalsten/blödesten Stelle kein Platz findet)…

  2. Das mit den häßlichen Hausfassaden gilt wohl auch für andere Länder. Vor allem diese unterschiedlichen Baustile sind wirklich furchtbar. Es ist so schade, dass sich diese Willkür gegenüber dem ansonsten positiven Ästethikempfinden so durchsetzen konnte.

  3. Hallo Klaus, das ist mir nie aufgefallen in 6 Jahren, obwohl ich immer mit offenen Augen unterwegs war. Vielleicht, weil nie mit dem Fahrrad, sondern per scooter. Aber du hast Recht, ein gut durchorganisierter Deutscher versteht manche Dinge -wenn überhaupt-nur kopfschüttelnd. Aber vielleicht ist es gerade das, was Taiwan für uns so reizvoll gemacht hat.
    Herzliche Grüße!

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