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Der 97 Jahre alte Kämpfer: Was dieser Mann erlebt hat, reicht für drei Leben

Su Bengs Wohnung

Su Beng, Taiwans ewiger Revolutionär

Als Journalist hat man immer wieder mal ganz besondere Begegnungen, über die man noch lange nachdenkt. Neulich war es für mich mal wieder so weit. Ich habe eine lebende Legende getroffen.

Su Beng

Su Beng ist 97 Jahre alt und für Taiwans Unabhängigkeitsbewegung ein Säulenheiliger. Trotz seines Alters ist er noch sehr aktiv. Su gilt als ewiger Revolutionär, manche nennen ihn sogar „Taiwans Che Guevara“, aber der Vergleich hinkt – dazu später mehr.

Am besten hole ich erst mal aus: Als Su (Wikipedia) 1918 geboren wurde, war Taiwan eine japanische Kolonie. Als einer von wenigen Taiwanern konnte Su in Japan studieren. Dort begeisterte er sich für Marxismus, las heimlich in eigentlich verbotenen Büchern und lernte dafür sogar etwas Deutsch. Er ist also ein alter Linker. Als der Krieg ausbrach und Japan in China einfiel, schloss Su sich den Kommunisten um Mao an und kämpfte gegen die Japaner. Was in diesen Jahren passierte, darüber redet er nicht so gern. Er muss wohl einige Grausamkeiten erlebt haben, und Ende der vierziger Jahre kehrte er den Kommunisten den Rücken und ging zurück nach Taiwan.

Vom Regen in die Traufe

Seine Heimat war mittlerweile zwar nicht mehr von Japan besetzt, aber dafür von den Nationalchinesen um Chiang Kai-shek. Die unterdrückten die Taiwaner in diesen Jahren noch schlimmer als die früheren Kolonialherren. Su baute eine Untergrundbewegung auf, um das Regime zu stürzen. Sie beschafften sich Waffen und planten Attentate, doch die Geheimpolizei bekam Wind.

Lesetipp: Su Bengs Lebensgeschichte und ein Dokumentarfilm über ihn

Statt einen Guerillakrieg zu starten wie später Che Guevara in Kuba, musste Su fliehen. In Japan erhielt er politisches Asyl. Jahrzehntelang betrieb er dort ein Nudelrestaurant. Er schrieb „Taiwan’s 400 Years of History“, das wahrscheinlich erste Buch, das Taiwans Geschichte nicht unter fremdem Vorzeichen betrachtet, und schmiedete gleichzeitig weiter Pläne für die Revolution.

Rückkehr mit über 70 Jahren

Daraus wurde nichts. In den Neunzigern wandelte Taiwan sich zur Demokratie, Su konnte zurückkehren.

Solange das System der Republik China noch in Kraft ist, lässt er nicht locker. Sein Ziel: Eine eigene Verfassung für Taiwan. Dafür hält er Reden, lässt sich mit Lautsprecherwagen durch die Stadt fahren, kämpft nun mit Worten statt Waffen.

Su Bengs Wohnung

Vor allem aber ist er mittlerweile einfach er selbst, immer noch da. Su Beng ist ein Greis, der Körper verkrümmt, ein Auge erblindet. Aber als ich ihm gegenübersaß und er mich mit dem anderen Auge aufmerksam ansah, zwei Stunden lang über einen Dolmetscher meine Fragen beantwortete, da konnte ich verstehen, warum er so viele Menschen fasziniert.

Dieser Mann hat alle möglichen Regime erlebt und nie einfach so hingenommen, was er als ungerecht empfand. Terrorist, Patriot oder Freiheitskämpfer? Schon damals war das Ansichtssache.

(Trailer zum Dokumentarfilm)

Ich weiß nicht, ob Sus Weg der richtige ist. Schließlich ist die Republik China heute eine Demokratie. Und die Politik der Volksrepublik macht jede Art von Unabhängigkeitserklärung unmöglich. Das müssen die Taiwaner selbst entscheiden. Wichtig finde ich nur, dass man sie entscheiden lässt.

Der alte Mann und die Studenten

Su Beng hat überlebt, so lange schon, aber sein Ziel noch nicht erreicht. Nun ist Taiwans junge Generation politisch erwacht. Viele von ihnen wünschen sich ein Land, in dem es gerechter zugeht und das nicht über China definiert wird. Ihnen hat dieser alte Mann etwas zu sagen.

Er sprach auch im Frühjahr 2014 im besetzten Parlament zu den Studenten der Sonnenblumenbewegung (zu sehen ab 2:20 im Video oben).

Su Beng mit Pizza und Bier

Neues Buch mit meinem Kapitel über Taiwan

Das Interview war für dieses Buch, an dem ich gemeinsam mit 20 anderen deutschen Reportern gearbeitet habe. Jeder hat ein Kapitel über die Unabhängigkeitsbewegung in seinem Land geschrieben.

Als ich alle Fragen gestellt hatte, war es Mittag. Su lud mich und den Dolmetscher ein, noch zum Essen zu bleiben. Es gab Pizza und Bier. Er geht aber auch noch regelmäßig Schwimmen. So hat jeder seine eigenen Methoden, im Alter fit zu bleiben.

(aktualisiert am 9.11.2015)

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

4 Antworten

  1. Danke für den Bericht! Eine neue Verfassung für die Insel wäre sehr wünschenswert, um die demokratischen Grundrechte zu stärken – für was auch immer sich die Taiwanesen entscheiden, ich halte das für möglich. Es würde mich interessieren, wie klar formuliert die jetzige chinesische ist.
    Ich habe kürzlich das Chiang Kai-Shek Buch von Jay Taylor gelesen und bin interessiert an jeden bißchen Geschichte über Taiwan. Dein Kalender hängt übrigens bei uns an der Wand.

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