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Jubiläum! So waren meine ersten 10 Jahre in Taiwan

Klaus Drachen

Eine persönliche Rückschau

Es sind ganz normale Tage gerade, und doch markieren sie einen besonderen Zeitpunkt: Vor genau zehn Jahren bin ich das erste Mal nach Taiwan gekommen. Vom ersten Tag an führe ich dieses Blog. Es hat in dieser Zeit viel durchgemacht, Wandlungen erfahren, und ist doch in manchem unverändert geblieben – so wie ich, so wie Taiwan.

Zu Beginn war dieses Blog einfach nur als Reisetagebuch gedacht. Mein erster Aufenthalt war ja an ein Journalistenstipendium gekoppelt und auf drei Monate angelegt, und ich wollte vor allem den Freundeskreis daheim in Deutschland über meine Erlebnisse auf dem Laufenden halten. Dass ich nach Taiwan zurückkehren, mich gar hier niederlassen würde, war Anfang März 2008 überhaupt nicht abzusehen.

Tagebuch eines Taiwanneulings

Die ersten Einträge lese ich noch heute besonders gern, denn sie zeichnen fast minutiös jene Tage nach, in denen ich so vieles, was längst selbstverständlicher Alltag geworden ist, zum ersten Mal gesehen und erlebt habe.

Am 2. März 2008 landete ich früh am Flughafen, machte meine ersten Schritte auf Taiwans Boden, wurde abgeholt und zum International House gefahren, einer Art Jugendherberge auf einem Hügel über Xindian. Mit einem Shuttlebus ging es hinunter zur MRT Qizhang, dort erkundete ich die Gegend, suchte und fand etwas zu essen und eine SIM-Karte.

Zurück in der Unterkunft traf ich eine Deutsche, mit der ich in den kommenden Wochen viel erlebte und der ich mich bis heute eng verbunden fühle (sie selbst stand wohl mehrmals kurz davor, auch nach Taiwan überzusiedeln).

Spät am Abend, den Kopf randvoll mit so vielen Eindrücken, setzte ich mich dann noch hin und tippte einen ausführlichen Blogeintrag.

Am nächsten Tag ging es dann zum Chinesischunterricht an der NCCU. Noch eine ganz neue Welt tat sich auf! Ich verstand ja kein Wort, konnte mir auch keines merken und kam mir ziemlich beschränkt vor. Es sollte noch ca. sechs Wochen dauern, bis mein Gehirn ein paar Schalter umlegte und ich einen Zugang zu dieser Sprache fand – auf dem ich dann aber auch unbedingt weiter aufbauen wollte.

Ich hatte einst als zweite Fremdsprache Latein statt Französisch gewählt, im Studium einen halbherzigen Versuch mit Spanisch abgebrochen, doch hier hatte ich nun endlich die Chance, eine Fremdsprache wirklich zu lernen und auch gleich vor Ort anzuwenden.

Es folgten die erste Fahrt aufs Taipei 101, die erste verwirrende Erkundung der unterirdischen Shoppingpassagen-Labyrinthe unter dem Hauptbahnhof, Nachtmärkte, Tempel und so vieles mehr.

Wahlen als Struktur meines Lebenslaufs

Will ich im Rückblick meine Taiwan-Erfahrungen strukturieren, dann orientiere ich mich an den Wahlkämpfen, die ich hier miterlebt habe. (Es könnten auch Fußballwelt- und Europameisterschaften sein, aber die Wahlen bedeuteten neben Aufregung auch immer Arbeitsgelegenheiten.)

Wenige Wochen nach meiner Ankunft im März 2008 fand „meine“ erste Präsidentenwahl statt. Ma Ying-jeou eroberte für die KMT das Präsidentenamt, die DPP-Anhänger konnten vorerst einpacken.

Wahlkampf 2008 Kundgebung

Während der großen Regionalwahl 2010, als eine gewisse Tsai Ing-wen als Bürgermeister-Kandidatin in der frisch umbenannten Region New Taipei City antrat und verlor, nahm ich Sprachkurse an der NTNU (Shida). Und mein Nachbar, der im Erdgeschoss einen Farbenladen hatte, wurde zum Lizhang gewählt. Er ist es bis heute, und sein ehemaliger Laden wurde umgebaut zum Büro und Veranstaltungzentrum der Nachbarschaft.

2012 trat Tsai gegen Amtsinhaber Ma an und verlor. Am Vorabend der Wahl erlebte ich den damals schon greisen Lee Teng-hui bei ihrer Abschlusskundgebung in einem Stadion in Banqiao. Den Wahltag verbrachte ich erst im Wahllokal, wo meine Nachbarn ihre Stimmen abgaben, dann im Saal der Wahlkommission.

Über meine Erfahrungen und Beobachtungen bis zu diesem Zeitpunkt schrieb ich dann ein kleines E-Book mit dem Titel „Taiwan: Snapshots of Democracy in Action“.

2014 hatte die Stimmung in Taiwan sich grundlegend verändert. Die Sonnenblumen-Parlamentsbesetzung im Frühjahr hatte ich, Reporterglück allererster Güte, verpasst und nur von Deutschland aus verfolgt. Zumindest konnte ich eine große Taiwan-Solidaritätsdemo auf dem Alexanderplatz in Berlin miterleben.

Taiwan Demonstration Berlin

Ende 2014 waren dann die großen „Neun-in-Eins“-Lokal- und Regionalwahlen, bei denen die KMT überraschend heftig abgestraft wurde. Auch hier hatte ich wieder einige Großkundgebungen miterlebt, zum Beispiel eine, auf der Foxconn-Boss Terry Gou (Aussprache allerdings „Guo“) für Sean Lien als Bürgermeister von Taipeh warb. Lien gilt heute als katastrophale Fehlbesetzung, während es nach Trumps Wahl 2016 Spekulationen gab, Gou könnte hier in Taiwan so einen Coup wiederholen. Immerhin ist er ja auch Milliardär erfolgreicher Geschäftsmann.

Hao Lung-pin, Terry Gou und Sean Lien

Am Abend ließ ich mich noch durch die begeisterten Massen rund um das Hauptquartier von Ko Wen-je treiben, der als Quereinsteiger die Wahl in Taipeh gewann.

2016 dann mein zweiter Machtwechsel, im zweiten Anlauf wurde Tsai Präsidentin. Weil Veränderung in der Luft lag, waren die deutschen Medien diesmal interessiert, und so verbrachte ich den Wahltag von früh bis spät mit einem angereisten Team vom ARD-Studio Tokio. Inmitten der jubelnden Menschenmenge vor Tsais Hauptquartier brachten wir Taiwan so auch in die 20-Uhr-Tagesschau.

Ende dieses Jahres stehen nun wieder in bester Midterm-Tradition die Lokal- und Regionalwahlen an. Ich bin sicher, es wird wieder etwas zu berichten geben.

Warum es hier ruhiger geworden ist

Was sich in diesem Blog sicherlich geändert hat, ist die Häufigkeit meiner Einträge. 2012 hatte ich mit 92 Posts meinen Spitzenwert erreicht, in den vergangenen drei Jahren waren es weniger als 30. Das liegt nicht nur an meiner Faulheit oder einem allgemeinen Relevanzverlust von Blogs, sondern ganz konkret an meinen Social-Media-Aktivitäten. Erst seit 2010 bin ich auf Facebook und Twitter aktiv. Seitdem landen viele kurze Anmerkungen und Links, die ich früher hier verbloggt hätte, einfach dort – weil sie von mehr Nutzern gesehen und leichter geteilt werden können. Dass meine Facebookseite im Lauf der Zeit ganz organisch auf immerhin 18.000 Follower gewachsen ist, freut mich natürlich auch.

Dennoch bitte ich Langzeit-Leser um Verzeihung, dass es nun im Blog ein wenig ruhiger zugeht. Ich werde mich weiterhin bemühen, hier regelmäßig Interessantes in längerer Form aufzuschreiben. Der Wochentakt bleibt das Ziel!

Alles in Ordnung, danke der Nachfrage

Wenn es nach zehn Jahren nun an der Zeit ist, Zwischenbilanz zu ziehen, kann ich nur sagen: Ich bin froh, dankbar und stolz.

Froh, weil ich damals die Gelegenheit ergriffen hatte, nicht nur vorübergehend hier zu bleiben. Mein Leben ist dadurch reicher geworden. Dankbar für viele wunderbare Menschen und Erlebnisse. Und stolz zum einen darauf, dass mein freies Journalistendasein hier noch immer funktioniert – und zum anderen auf diejenigen Menschen in diesem Land, die daran arbeiten, ihre Gesellschaft immer noch ein bisschen besser zu machen.

Stolz sollte man ja nur auf Dinge sein, die man selbst erreicht hat. Nach zehn Jahren Leben in Taiwan, denke ich, habe ich mir dieses Gefühl verdient.

Also dann, auf (in) die Zukunft!

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

5 Antworten

  1. „Und mein Nachbar, der im Erdgeschoss einen Farbenladen hatte, wurde zum Lizhang gewählt.“
    ==> Was ist ein Lizhang? So etwas wie ein Bezirksvertreter? Hab leider bei einer schnellen Google-Suche nichts dazu gefunden, außer einen Nachnamen. Aber ein neuer Nachname wurde vermutlich nicht gewählt. 🙂

    Ich verfolge Deine Beiträge hier und auch auf Facebook nach wie vor mit großer Neugier. Nicht zuletzt auch, weil ich schon seit einer Weile mit dem Gedanken spiele, irgendwann mal „rüberzumachen“, gleichzeitig aber auch Zweifel habe, ob ich es mich jemals trauen werde.
    Ist eben doch nicht so ganz einfach, wenn man dafür einen gut bezahlten Job mit betrieblicher Altersvorsorge und allem Pipapo zurücklassen müsste. Vor allem, wenn man dann noch so bequem/faul ist, wie ich es bin.
    Würdest Du im Nachhinein betrachtet sagen, dass das alles nicht passiert wäre, hättest Du einen festen Job statt freier Mitarbeit gehabt? Oder hätte Dich damals so oder so die Neugier dorthin getrieben? Du hast ja schon verschiedentlich erwähnt, dass Dir damals das Angebot ganz gelegen kam, weil Du zu dem Zeitpunkt flexibel warst.

    1. Ein Lizhang 里長 ist das unterste gewählte Verwaltungsamt, quasi der gewählte Nachbarschaftsvorstand oder Stadtviertel-Bürgermeister. Ein Li hat im Schnitt so um die 3000 Einwohner, in Taiwan gibt es nach dieser Info 7835 Li: https://en.wikipedia.org/wiki/Administrative_divisions_of_Taiwan#Lower-level_administrative_divisions

      (Ob die Lin als noch kleinere Einheit heute noch eine Bedeutung haben, weiß ich nicht. Das waren früher quasi die Blockwarte.)

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