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Deutsche Leitmedien und Nachrichtenagenturen versagen mal wieder in Sachen Taiwan

Früher musste China seine Propaganda in Sachen Taiwan noch selbst machen.

Unwissenheit oder alles egal? In deutschen News kommt Taiwan immer wieder unter die Räder

Ob Agenturhörigkeit oder Verschlimmbesserung – wer Beispiele braucht, wie es um die Taiwan-Berichterstattung in deutschen Redaktionen bestellt ist, wenn es mal wieder schnell gehen muss und keine Korrespondenten schreiben, muss sich nur die Berichte heute rund um den Taiwan Travel Act anschauen.

Dieses Gesetz wurde in der Nacht auf den heutigen Samstag (deutscher Zeit) von Trump per Unterschrift in Kraft gesetzt. Während ich dies schreibe (Samstag vor 10 Uhr), liegen offenbar nur zwei deutschsprachige Agenturmeldungen vor: von AFP (1:27 Uhr) und Reuters (2:39 Uhr). Beide wurden von vielen namhaften Onlinemedien aufgegriffen.

Welt.de und Stern.de kopieren AFP-Unsinn

Die AFP-Meldung steht quasi unverändert zum Beispiel bei Welt.de oder bei Stern.de. Die Überschrift lautet:

„Trump erlaubt Reisen hochrangiger US-Vertreter nach Taiwan – Dekret des US-Präsidenten dürfte China verärgern“

Mal abgesehen davon, dass es sich um ein vom Kongress verabschiedetes Gesetz handelt und nicht um ein Dekret (redigiert das eigentlich irgend jemand?), macht der Einstieg die eigentlichen Probleme noch deutlicher:

US-Präsident Donald Trump riskiert mit seiner Erlaubnis von Reisen hochrangiger Regierungsvertreter nach Taiwan eine Verschlechterung der Beziehungen zu China.

(Nachtrag: Die verlinkten Seiten haben ihren Text mittlerweile ersetzt durch eine AFP-Meldung vom 18.3., 5:08 Uhr, in der nun – nach mehr als 24 Stunden – korrekt von einem Gesetz die Rede ist. Eine Korrektur des Fehlers war offenbar nicht versandt worden.)

Aus mehreren Gründen ist das erbärmlich, aber symptomatisch. Diese Reflexe beobachte ich vor allem bei Agenturen immer wieder, wenn es um Taiwan geht:

1. Taiwans Demokratie wird ausgeblendet

Taiwan ist die lebendigste Demokratie Asiens. Es ist der beste Partner, den der Westen sich wünschen könnte, wird aber politisch kaltgestellt und medial ignoriert.

Die vage Beistandszusage der USA gegen Chinas Machtanspruch ist wohl der einzige Grund, dass diese Gesellschaft überhaupt die Zeit hatte, sich in den vergangenen 30 Jahren so positiv zu entwickeln.

Der Taiwan Travel Act ändert Taiwans Isolation nicht grundlegend, er soll sie nur etwas weniger entwürdigend machen. Er ermutigt die amerikanische Regierung, Treffen zwischen Taiwans – frei gewählten! – Spitzenvertretern und ihren amerikanischen Kollegen durchzuführen. Ermutigt, nicht verpflichtet.

Bislang dürfen zum Beispiel Taiwans Präsidenten zwar in die USA einreisen, etwa um dort in Richtung Lateinamerika umzusteigen. Dabei treffen sie aber normalerweise keine Mitglieder der Exekutive. Dass Präsidentin Tsai im Januar 2017 in Texas Senator Ted Cruz traf, war schon bemerkenswert (Beispiel New York Times) – auch, weil China sich natürlich mal wieder „verärgert zeigte“ (dazu unten mehr).

Jetzt lesen: „Abtrünige Provinz“? Diese Medien-Phrasen zu Taiwan will ich nicht mehr lesen

Übrigens: Taiwans – demokratisch legitimierte! – Präsidentin ist seit ihrem Amtsantritt wie ihre Vorgänger in der EU persona non grata. Sie dürfte nicht mal mehr als Touristin nach Berlin reisen, wie es ihr 2011 noch möglich war.

All das hält AFP aber für wenig relevant, dort erfährt der Leser von Welt.de, Stern.de & Co. nur:

Trump unterzeichnete am Freitag eine Verordnung mit neuen Regeln für solche Besuche. Diese „ermutigt Besuche zwischen Vertretern der Vereinigten Staaten und Taiwan auf allen Ebenen“, wie das Weiße Haus mitteilte. Bislang fanden solche Treffen üblicherweise auf niedriger Ebene statt, um China nicht zu verärgern.

Taiwans Demokratie ist permanent bedroht durch Chinas Machtansprüche. Aber solche Berichte machen Taiwan vom Opfer zum Problem.

China Propaganda Plakat Taiwan
Früher musste China seine Propaganda in Sachen Taiwan noch selbst machen.

2. Chinas Aggressionen werden gerechtfertigt

Ach ja, das verärgerte China. Westliche Medien verstehen sich oft als Psychotherapeut Pekings, besorgt ums seelische Wohlergehen dieses autoritären Regimes. Dabei ist es doch so: Chinas Führung setzt „Verärgerung“ bewusst als Werkzeug ein, auf internationaler Bühne Aufmerksamkeit zu erhalten und Druck zu machen.

Das können Xi Jinpings Kader ja tun. Man sollte es ihnen aber nicht durchgehen lassen.

Nur Chinas Führung entscheidet, ob und wann „China verärgert ist“. Wenn sie einen Vorwand brauchen, suchen sie sich halt einen. Und wenn sie nicht wollen, sind sie auch nicht verärgert.

Wenn westliche Medien jedes Mal aufs Neue diesen Köder schlucken und das Spiel mitmachen, lassen sie sich als Werkzeuge der chinesischen Propaganda instrumentalisieren.

3. Der Fokus wird auf Trumps vermeintliche Unzurechnungsfähigkeit gelegt

Eine Figur wie Donald Trump im Weißen Haus verführt Medien dazu, Amerikas China- und Taiwanpolitik noch weniger unvoreingenommen zu betrachten.

Wenn Trump etwas tut, wird es – aus gutem Grund – zunächst besonders skeptisch betrachtet. Aber nicht alles, was er tut, sind erratische Akte des Wahnsinns. Der Taiwan Travel Act zum Beispiel wurde sowohl vom Repräsentantenhaus als auch vom US-Senat einstimmig verabschiedet – also auch von sämtlichen Abgeordneten der Demokraten. Ein Thema für die deutschsprachigen Nachrichtenagenturen wurde er aber erst jetzt, als Trump seiner verfassungsgemäßen Rolle nachkam und seine Unterschrift darunter setzte.

Jetzt lesen: Trump telefoniert mit Taiwan – Medien machen Panik

So wie die AFP ihre Meldung hier beginnt spekuliert sie auf den, Lesern durch die Berichterstattung antrainierten, „Trump dreht schon wieder durch“-Affekt.

Spiegel Online verschlimmbessert Reuters

Der deutsche Dienst von Reuters beginnt seine Meldung so:

US-Präsident Donald Trump hat trotz Warnungen der Regierung in Peking einen Beschluss des Kongresses zu Reisen von und nach Taiwan unterzeichnet.

Der Bericht bei Spiegel Online gibt zwar Reuters als Quelle an, ein per Kürzel genannter Redakteur oder eine Redakteurin hat den Text aber offenbar ordentlich umgeschrieben und erweitert, was ja zunächst gut ist. Unveränderte Copy-Paste-Agenturmeldungen, identisch in vielen Medien veröffentlicht, machen schließlich einen verheerenden Eindruck auf die Leser.

Leider sah der Autor/die Autorin sich hier aufgerufen, „die Ein-China-Politik“ zum großen Thema der Meldung zu machen:

Eigentlich hatte Donald Trump die Ein-China-Politik nach einigen Irritationen schließlich anerkannt. Mitten im Handelsstreit mit der Volksrepublik vollzieht er eine Wende – und billigt offizielle Reisen nach Taiwan. (…)

(Nach seinem Telefonat mit Tsai) bekannte er jedoch, dass sich seine Regierung im Umgang mit China und Taiwan weiter an die Ein-China-Politik halten werde. Mit der Doktrin fordert Peking, dass kein Land diplomatische oder offizielle Beziehungen zur demokratischen Inselrepublik Taiwan unterhalten darf.

Das große Problem dieser Passagen ist, dass sie zwei Konzepte vermischen und gleichsetzen, zwischen denen große Unterschiede bestehen:

Chinas „Ein-China-Prinzip“

Dies ist schnell erklärt. Für Peking ist…

  • … Taiwan ein „unabtrennbarer Teil des chinesischen Territoriums“.
  • … die Volksrepublik China die einzige rechtmäßige Vertreterin Chinas.
  • … Taiwan daher unter der Hoheit Pekings.
  • … es eine Einmischung in die „inneren Angelegenheiten“ der Volksrepublik, wann immer andere Staaten Taiwan auf Augenhöhe behandeln. (Oder gar diplomatische Beziehungen haben, was für die USA, die EU und fast alle anderen Länder sowieso nicht oder nicht mehr zutrifft.)

Amerikas „Ein-China-Politik“

Sie ist komplizierter. Die Vereinigten Staaten…

  • … erkennen an, dass es nur ein China gibt
  • … und dass die Volksrepublik die einzige rechtmäßige Vertreterin Chinas ist.
  • … lassen aber offen, ob Taiwan dazu gehört oder nicht!
  • … nehmen Pekings Anspruch auf Taiwan zur Kenntnis („acknowledge“).
  • … akzeptieren ihn aber nicht.

Washingtons „Ein-China-Politik“ ist seit Jahrzehnten kohärent. Noch nie hat ein Amtsträger eingeräumt, Chinas Machtanspruch über Taiwan zu akzeptieren. „Taiwan gehört zu China“ – diesen Satz gibt es von Amerikas Regierung schlicht nicht, anders als von der deutschen.

Jetzt lesen: Wie die Bundesregierung vor China gekuscht und eine Demokratie verraten hat

Wer lang genug gräbt und kratzt, landet immer wieder bei der Aussage, Taiwans Status sei noch immer „undecided“. Diese Ambivalenz und Unschärfe ist es, die Amerikas Unterstützung und damit Taiwans De-Facto-Unabhängigkeit auch nach Abbruch der diplomatischen Beziehungen 1978/79 ermöglicht hat.

Ihre wichtigsten, bis heute gültigen Bausteine sind:

Wer genau hinsieht, erkennt auch, dass die US-Regierung, vor Trump und auch unter ihm, stets von der Verpflichtung an „our One-China-Policy“ spricht. „Unsere.“ Und eben nicht Pekings „Ein-China-Prinzip“.

Diese Differenzierung macht, was Taiwan angeht, einen riesigen Unterschied. Sie fällt aber immer wieder, auch in diesem SPON-Bericht, unter den Tisch. Trump vollzieht eben keine Wende, und er hatte nie angekündigt, sich an Pekings Doktrin zu halten

Solche Berichte bilden eine Medien-Pseudorealität ab, die mit diplomatischen und politischen Realitäten wenig zu tun hat. Das Problem: Wird so etwas oft genug wiederholt, frisst es sich tief genug in die Hirne ein, könnte es irgendwann auch auf politische Entscheidungsträger einen Effekt haben.

Eine unbedachte Formulierung in einer Ansprache könnte Taiwans Status noch fragiler machen, als er es sowieso schon ist. 2014 musste Obamas Außenministerium einen AP-Text richtigstellen lassen, der den Präsidenten in Sachen „One China“ an der entscheidenden Stelle falsch zitiert hatte.

Zum Weiterlesen

Ich arbeite seit 2003 als Journalist, seit 2009 in Taiwan. In einem Vortrag habe ich kürzlich in Deutschland einige Beobachtungen rund um Taiwan und das deutsche Mediensystem zusammengefasst. Darin ging es auch um Agenturhörigkeit und Vereinfachungen.

Hier stehen die Folien des Vortrags: Problem im System: Warum Taiwan eher selten in deutschen Medien vorkommt

Der einzige mir bekannte deutsche Bericht, der den Taiwan Travel Act bislang angemessen aufgegriffen hat, steht bei der katholischen Wochenzeitung „Tagespost“ und stammt vom Berliner Journalisten und langjährigen Taiwanbeobachter Michael Leh.

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

5 Antworten

  1. Leider wurde und wird von den jeweiligen Regierungschefs der ROC längst selbst ein „Schmusekurs“ gegenüber der Volksrepublik gefahren, den man so charakterisieren koennte:
    Bloss nicht mucksen, dann fallen wir nicht auf und verärgern auch nicht einen Großteil unserer Bürger die Geschäfte mit der VRC treiben und dabei Milliardenprofite einfahren. Und alles bleibt wie es ist?

    Nun, die Zeit spielt für die VR. Jeden Tag rueckt für uns hier Lebende die fürchterliche Vision einer Uebernahme und Vernichtung des einzigen demokratischen Staates in Suedostasien naeher.

    Es ist wie im Leben: Es geht um`s Geld. Letzten Endes werden wir – wie die Einwohner Hongkongs – „verkauft“.

    Die Ausrufung als Republik Taiwan hat sich trotz vorheriger grossmaeuliger Ankuendigung nie der gewählte Praesident getraut. Und es wird mit jedem Tag schwieriger.

    Das meint der
    Baumspecht

  2. Es ist allgemein akzeptiert Russland zu kritisieren (nicht zu Unrecht) aber die dringend erforderliche Kritik an China bleibt in der Regel aus. Dabei gäbe es aktuell so vieles, was größerer Beachtung bedürfte: der Umgang mit den Uiguren in Xinjiang, mit dem EU-Bürger Gui Minhai, Einflussnahme auf Wissenschaft, Politik und Wirtschaft in etlichen Ländern, natürlich die ständige Bedrohung Taiwans und vieles mehr.

  3. Die ARD-Tagesschau tut sich auch schwer damit chinakritische Kommentare in ihrem Forum zu veröffentlichen. Hat die TS Angst, dass ihre journalistische Tätigkeit in der VR China noch mehr eingeschränkt wird, wenn die TS über Taiwan berichtet?

  4. Vielen Dank für diesen lesenswerten Beitrag. Insbesonderes die Differenzierung der beiden Ein-China-Politiken waren mir neu. Es ist einerseits wirklich schade, dass die Tagesmedien hier oftmals ungenau sind zum anderen aber noch viel schader, dass die Bundesregierung und die EU hier so wenig selbstbewusst komplett Pekings Linie einnehmen. Die USA hatten in den 70er und 80er Jahren natürlich auch nochimmer außenpolitische Gründe, etwas weniger generös zu sein, aber letztenendes haben sie ihre Politik ja auch nach dem kalten Krieg nicht verändert.

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