logo 3 small dark

Newsletter

Total normal, oder?

Dieser Eintrag wird ein bisschen länger! Notizen aus dem Alltag – einige Dinge, die in Taiwan halt so sind, nur anders als in Deutschland:

  • Es gibt viele Menschen, also sind auch die Bürgersteige ziemlich voll. Nun ist es nicht so, dass ständig gedrängelt wird. Im Gegenteil, die Taiwaner sind aus unserer Sicht eher gemächlich unterwegs und manchmal wandelnde Hindernisse. Denn wenn man es eilig hat, muss man sie im Slalom überholen – niemand geht einen Schritt zur Seite, um Platz zu machen, wenn sich jemand von hinten nähert. Diese Ausweichbewegung ist im taiwanischen Bewegungs-Katalog nicht vorgesehen
  • Fußgänger haben keine Priorität. Manchmal gibt es gar keine Bürgersteige, oft sind sie sehr eng. Wenn man eine längere Strecke läuft, muss man sich also oft um parkende Autos oder Scooter herumschlängeln
  • Jeder Verkehrsteilnehmer ist sich selbst der Nächste. Autofahrer erwarten beim Rechtsabbiegen, dass Fußgänger sie durchlassen, selbst wenn deren Ampel gerade grün ist
  • Fahrradfahrer sind Exoten oder Überzeugungstäter. Es gibt kaum Radwege, also ist das Fahren gefährlich. Außerdem ist die Luftverschmutzung nicht schön. Weil sich wegen der steigenden Spritpreise nun aber doch mehr Leute aufs Rad setzen, will die Regierung mehr Radwege anlegen. Noch aber sind solche Bilder die absolute Ausnahme – ein zweistöckiger Fahrradständer vor dem Campus der National Taiwan University:
  • In Taiwan fährt man Scooter. Es gibt angeblich etwa als doppelt so viele Motorroller wie Autos. Alle halten sich an die Helmpflicht, aber das ist auch schon so ziemlich die einzige Verkehrsregel, auf deren Einhaltung die Polizei achtet. Beim Abbiegen/Einordnen/Spurwechsel sind die Taiwaner sehr kreativ.
  • Es gibt so viele Roller, dass die Fahrer oft keinen Parkplatz mehr finden.
  • Gelegentlich spaziert man an Werkstätten vorbei, die sich auf Scooter spezialisiert haben. Die belegen dann einen Laden im Erdgeschoss eines Hauses, direkt zwischen Restaurants und kleinen Geschäften. Die Vorderfront ist offen, Reifen und Werkzeuge stapeln sich, es sieht aus wie eine kleine Kfz-Bastler-Werkstatt in Deutschland.
  • Es gibt in Taipei nur vergleichsweise wenig Parks. Und viele davon wurden erst in den vergangenen Jahren angelegt, meist entlang von Flussufern. Entsprechend baumlos sehen sie dann oft aus.
  • Trotzdem strömen an Wochenenden Eltern mit ihren kleinen Kindern in die Parks. Und überhaupt überall hin, wo es schön und/oder was los ist. Den Kleinen soll es gut gehen.
  • Es gibt auf den Straßen kaum Papierkörbe. Wer seinen Müll loswerden will, muss ihn oft ziemlich weit schleppen – z.B. zur nächsten U-Bahn-Station, da gibt es dann sogar Mülltrennung. Ich vermute, so soll verhindert werden, dass jedermann seinen Hausmüll in öffentlichen Papierkörben entsorgt.
  • Es gibt für den Hausmüll keine Tonnen wie bei uns, die dann abgeholt werden. Stattdessen macht die Müllabfuhr jeden Abend ihre Runde, und die Menschen warten an bestimmten Haltestellen mit ihren Tüten auf den Müllwagen. Damit sie ihn nicht verpassen, trötet er über Lautsprecher eine Erkennungs-Melodie (z.B. „Für Elise“). Warum ist das so? Ich empfehle diese Radiobeiträge „Taiwan für Anfänger“. Da wird dieses und noch einige andere Phänomene sehr liebevoll erklärt.
  • In den Müll gehört auch benutztes Toilettenpapier. Angeblich sind die Abflussrohre in Taiwan so eng, dass sie durch Klopapier verstopft werden könnten (mir unverständlich, weil vernünftiges Klopapier wasserlöslich ist). In öffentlichen Toiletten und auch in vielen Hotels stehen also luftdicht schließende Mülleimer bereit, und auf Schildern wird man gebeten, sie zur Entsorgung zu benutzen.
  • Es gibt westliche Toiletten zum Draufsetzen und solche zum Hinhocken. Wer unbedingt sitzen will, muss manchmal das Rollstuhlfahrer-Klo suchen…
  • Die besten und saubersten öffentlich Toiletten sind in den U-Bahn-Stationen. Manchmal werden sie sogar liebevoll geschmückt:
  • In den U-Bahnen sind die automatischen Ansagen viersprachig: Mandarin, Taiwanesisch, Hakka und Englisch.
  • Taiwanesisch und Hakka werden (wie auch Kantonesisch) oft als chinesische „Dialekte“ bezeichnet, unterscheiden sich von Mandarin aber etwa so wie Holländisch oder Schwedisch vom Deutschen.
  • Alle Kinofilme und Fernsehsendungen und DVDs haben chinesische Untertitel. Und zwar auch, wenn sie sowieso in Chinesisch sind. Das hat den Vorteil, dass auch Menschen, die kein Mandarin, aber z.B. Kantonesisch sprechen, alles verstehen. Bzw. jeder, wenn es laut ist oder die Sprecher zu sehr nuscheln.
  • Die Haltestellen-Displays in den Bussen sind manchmal auch Englisch, manchmal nicht.
  • In welcher Richtung ein Bus unterwegs ist, ist oft unklar. Vorne stehen zwar die beiden Endhaltestellen dran, aber die Reihenfolge wechselt nicht, wenn der Bus die Richtung ändert.
  • In Bussen zahlt man manchmal beim Ein- und manchmal beim Aussteigen. Entweder achtet man auf ein Zeichen über dem Fahrer (上車 – Einsteigen, 下車 – Aussteigen), oder man orientiert sich an den anderen Fahrgästen. Auf längeren Strecken wechselt das Zeichen, so dass man beim Ein- und beim Aussteigen zahlen muss.
  • Es gibt in der Stadt keine Fahrpläne mit festen Abfahrtszeiten. Die Busse kommen, oder sie kommen etwas später. Manchmal fahren sogar zwei Busse der selben Linie unmittelbar hintereinander her.
  • Die meisten Busfahrer in Taipei können oder wollen nicht vernünftig fahren und bremsen gerne so abrupt wie möglich.
  • Das Zahlen in U-Bahnen, Bussen und der Maokong-Seilbahn funtioniert ganz wunderbar und schnell mit einer aufladbaren „Easycard“, die nur im Vorbeigehen über das Lesegerät gehalten wird.
  • Easycards kann man im 7/11 kaufen, ebenso wie so ziemlich alles andere, das man je brauchen könnte.
  • Es gibt außer 7/11 noch drei andere Convenience-Store-Ketten. Gemeinsam sind sie an jeder Straßenecke ungefähr zweimal vertreten.
  • In jedem dieser Läden gibt es: Zeitungen, Zeitschriften, Bücher, DVDs, Getränke (Wasser, Milch, Tees, Cola, Säfte, Mischgetränke, Bier…), Regenschirme, Regenmäntel, Zigaretten, Drogerieartikel, Schreibwaren, Spielzeug, Chips, Kekse, Brötchen, Joghurt, Instant-Nudelsuppen und viel, viel mehr. Mehr als in jedem deutschen Tankstellen-Shop. Und heiße Snacks: Würstchen, die stundenlang auf einem automatischen Grill rotieren. Tee-Eier, die warmgehalten werden. Und undefinierbare Happen am Holzspieß. Schmeckt alles nicht schlecht, wenn man Hunger hat.
  • Im 7/11 kann man auch Fotokopien machen, Faxe senden, Pakete abholen und Rechnungen bezahlen. Und Geld abheben, denn in jedem Laden steht ein Geldautomat.
  • Geldautomaten finden sich sowieso an allen möglichen unerwarteten Orten. Zum Beispiel im Obergeschoss eines McDonald’s, mitten zwischen den Tischen. Abheben mit deutschen Kreditkarten ist kein Problem.
  • Es gibt nur wenig Supermärkte. Carrefour hat ein paar Riesen-Märkte, es gibt einige japanische Ketten, aber ansonsten sind sie dünn gesät. Ihre Einkäufe erledigen die Menschen offenbar lieber in kleinen Läden oder direkt auf dem Markt.
  • Oder sie gehen zum Essen gleich in ein Restaurant. Es gibt tausende, überall. In vielen Straßen hat jedes zweite Haus ein Restaurant im Erdgeschoss.
  • In vielen der einfachen Restaurants spielt die Optik keine große Rolle. Die Möbel sind abgenutzt, Boden und Wände seit 1975 nicht renoviert, Neon-Röhren hängen von der Decke, überall stehen aufgerissene Kartons herum. Aber manchmal gibt es in den schäbigsten Restaurants das leckerste Essen.
  • Nur wenige Restaurants oder Straßenküchen haben eine englische Übersetzung ihrer Speisekarte. Ich bin der festen Überzeugung, dass sie damit auf eine Menge Geld verzichten, denn die meisten Ausländer sind bei ihnen chancenlos.
  • Man bestellt meist nicht direkt bei der Kellnerin, sondern kreuzt auf einem Bestell-Zettel, auf dem die komplette Speisekarte noch mal abgedruckt ist, seine Wünsche an.
  • Die Restaurants in der Fressmeile von Einkaufszentren, Bahnhöfen usw. stellen ihre Gerichte oft als Modell zur Ansicht in eine Vitrine. Modell heißt: Sieht aus wie das echte Essen, ist aber wohl ein Plastikmodell und hält garantiert ewig. Scheint so, dass es Firmen gibt, die für Restaurants maßgeschneiderte Essens-Modelle anfertigen. Oder ist es gar echtes Essen, versiegelt unter einer Art Kunstharzschicht?
  • Einmal saß ich in einem Restaurant, eine taiwanische Familie am Tisch gegenüber. Ich versuche den Zettel zu entziffern. Sie beobachten mich, die Mutter fragt: „Why don’t you eat at McDonald’s?“
  • Ich war in fast vier Monaten nur ein einziges Mal bei McDonald’s. Weil ich den Reis-Burger ausprobieren wollte, statt eines Brötchens hat der zusammengepappten Reis. Er schmeckt nicht.
  • Zum Essen bestellt man in Taiwan normalerweise kein Getränk. Entweder gibt es gratis Tee oder eine klare Suppe, oder man trinkt nichts. Kein Wunder, dass so viele Ausländer ständig mit Wasserflasche unterwegs sind.
  • In den meisten Restaurants gibt es Einweg-Stäbchen aus Holz. Die stecken in dünnen Plastikhüllen. Weil so viele verbraucht werden und die Klimaanlagen sie so leicht durch die Gegend pusten, gibt es oft spezielle Einwegstäbchen-Plastikhüllen-Halter.
  • Man hat erkannt, dass Einweg-Holzstäbchen ökologischer Unfug sind. Es gibt auch erste Schritte, den Verbrauch zu verringern.
  • Zum Würzen nach Wunsch stehen in fast jedem Restaurant Flaschen und Schüsseln mit Sojasauce, Öl, Essig und scharfer roter Höllenpaste. Viele Taiwaner essen gerne schärfer, als es gesund sein kann.
  • An Garküchen und Straßen-Ständen warten Taiwaner nicht darauf, dass der Verkäufer sie anschaut oder gar nach ihrem Wunsch fragt. Sie rufen ihre Bestellung einfach unaufgefordert heraus. Wer sich nicht daran hält, kann manchmal lange warten.
  • Es gibt so gut wie keine Straßencafés. Taiwaner sitzen nicht gerne draußen, wo es heiß ist und die Luft schlecht. Außerdem gibt es kaum Fußgängerzonen und überall zu viel Verkehr. Damit fehlt den Städten ein gutes Stück dessen, was Europäer als Lebensqualität ansehen. Lobenswerte Ausnahme ist der Platz hinter dem Roten Theater (einem alten japanischen Kolonialbau) am Beginn der Einkaufszone Ximending. Da gibt es keine Autos, aber nette Restaurants und Cafés.
  • Alle Wohnungen haben Klimaanlage, aber nirgendwo gibt es eine Heizung. Damit bleibt den Taiwanern zumindest das Problem der steigenden Erdgas- und Heizölpreise erspart, Strom schlägt dafür um so mehr zu Buche. Im tiefsten Winter kann es in Taipeh schon mal 12 Grad haben, dann frieren alle.
  • Das Wetter ist extrem wechselhaft. Jedenfalls im Mai und Juni. Vormittags strahlender Sonnenschein, Punkt 12 Uhr mittags sturzbachartige Regengüsse bis in die Nacht. Oder gleich tagelang Regen. Oder Sonne. Beste Reisemonate sind angeblich Oktober und November.
Facebook
Twitter
Email
Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

7 Antworten

  1. Liebe Bonafilia.

    vielen Dank. Ich hoffe (und bin mir sicher), Dein Sohn wird ein ganz großartiges Jahr in Taiwan erleben. Und irgendwann kommt Ihr dann auch mal hierher, oder?

    Viele Grüße
    Klaus

  2. Danke für den ausführlichen Beitrag…zwar habeich ganz viel in der zwischenzeit gelesen aber dein Artikel zeigt mir das wahre Leben was meinen Sohn demnächst begegnen wird…
    Ich bin gespannt!!
    Nun ich denke mal ich bin dann öfters mal hier….

    ♥ -lich Bonafilia

  3. Eine sehr gute und informative Zusammenstellung, die einige Aspekte des Lebens in Taiwan genauso wiedergibt, wie ich sie auch erlebt habe. Danke!
    Ich kenne übrigens den verantwortlichen Stadt-Planer, der u.a. Ximending und Umgebung konzipiert hat; er hat in Deutschland Fußgängerzonen, etc. studiert und nach Taiwan „übertragen“. Vorher gab es in Taiwan so etwas überhaupt nicht.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert

Diese Website verwendet Akismet, um Spam zu reduzieren. Erfahre mehr darüber, wie deine Kommentardaten verarbeitet werden.

Immer informiert über Taiwan auf Deutsch: Für meinen Newsletter anmelden

Immer informiert über Taiwan auf Deutsch:

Für meinen Newsletter anmelden