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Urban Renewal in Taipei: Modernisierung und Konflikte

Abriss Urbal Renewal Taipei

Unser Taipeh soll schöner werden

Demnächst werde ich vielleicht obdachlos. Und alle meine Nachbarn mit mir. Die Stadtregierung von Taipeh plant eine neue U-Bahn-Linie, um den östlichen Stadtrand besser anzubinden. Und die Endstation könnte genau dort liegen, wo jetzt noch unsere Häuser stehen. In der ganzen Stadt stehen viele Bewohner vor einer ähnlichen Situation.

Haus Wohnblock Taiwan

(Symbolbild: Dies ist nicht mein Haus. Könnte es aber sein.)

Wenig ansehlich: Das Stadtbild von Taipeh

Einen Preis für Schönheit im Städtebau hätte unser Wohnlock selbst zu seinen besten Zeiten nie gewonnen. An der etwa hundert Meter langen Reihe von vier- oder fünfstöckigen Häusern hat der Zahn der Zeit kräftig genagt. Solche Plattenbauten schossen in den siebziger Jahren flächendeckend aus dem Boden, als Wohnraum für die damals noch rasant wachsende Bevölkerung knapp war. Heute sind die Betonfassaden verwittert, Kabelwirrwarr zieht sich kreuz und quer, und die Fenstergitter, mit denen jedes Haus an ein Gefängnis erinnert, rosten vor sich hin.

Warum sehen die Häuser so aus? Mein Blogeintrag übers Wohnen in Taiwan

Für die Bewohner ist das zweitrangig. Sie freuen sich über das kostbare Wohneigentum in der Hauptstadt, wo die Immobilienpreise seit Jahren in die Höhe schießen. Und das Innere ihrer Apartments halten sie sowieso in Schuss.

Ein Blick ins Erdgeschoss zeigt, dass hier wahres Leben gewachsen ist. Ein Laden reiht sich an den anderen. Allein in unserem Block finden sich ein Frühstücksimbiss, zwei Mofawerkstätten, ein Bilderrahmen-Schreiner, ein Vertrieb für Geldzähl-Maschinen, eine Zahnarztpraxis und das Büro des gewählten Nachbarschafts-Vorstehers.

Skepis und Unsicherheit: Die Bewohner

Genau dort hängen seit einigen Monaten Neuigkeiten zum geplanten U-Bahn-Bau aus. Ab und zu trifft sich die Nachbarschaft Sonntagmorgens zu Informationsveranstaltungen. Da geht es darum, ob man Widerspruch einlegen oder die Angebote der Stadt akzeptieren sollte. Kalte Enteignung muss niemand fürchten. Vielen aber ist ihr in die Jahre gekommenes Heim lieber als ein in Aussicht gestelltes modernes, aber etwas kleineres Apartment in dem Hochhaus, das hier bald mit der neuen U-Bahn-Station entstehen könnte. Und es gibt die Befürchtung, dass man seinen Anteil am Grund und Boden mit mehr Parteien teilen müsste und er somit an Wert verlieren wird.

Hochhaus Apartments Taiwan

In Taipeh steht viel marode Bausubstanz, bei der Renovierung zwecklos wäre und wertvoller Platz nicht effizient genutzt wird. Von Neubau-Plänen profitieren aber große Investoren eher als die angestammten Bewohner, deren gewachsene Viertel oft kaputt-modernisiert werden. Im Erdgeschoss der überall neu entstehenden Apartment-Türme ist neben Empfangshalle, Pförtnerloge und Tiefgaragen-Einfahrt  meist kein Platz mehr für kleine Geschäfte.

Es gibt auch gelungene Neubauten: Architekturführer Taiwan

Stimmt die Mehrheit der Wohneigentümer in einem Block der Modernisierung zu, können die anderen nichts mehr dagegen tun. Das führt angeblich dazu, dass einige Firmen stimmberechtigte Strohmänner ansiedeln, bevor die Pläne bekannt werden.

Widerspenstig: Wenn Anwohner nicht weichen wollen

Vor einigen Monaten machte das Thema Schlagzeilen, weil eine Familie sich als einzige weigerte, ihr Haus zu räumen. Die Investoren pochten auf ihre Baugenehmigung und rückten mit Bulldozern an. Die Fernsehbilder der Familie Wang aus Shilin, die sich erfolglos gegen den Abriss wehrte, stachelten den Volkszorn an und sorgten für eine breite Diskussion. Einige Gesetze sollen nun anwohnerfreundlicher gestaltet werden. Es war außerdem einer der Vorfälle, die 2012 Taiwans Studentenbewegung wachrüttelten.

Die Wangs fordern den Wiederaufbau ihres Hauses. Ihre ehemaligen Nachbarn dagegen drängen Bauträger und Stadtregierung, endlich die neuen Gebäude hochzuziehen – sie warten in ihren Ausweichunterkünften schon seit vielen Monaten auf die versprochenen Neubauten.

Einen ähnlichen Fall gab es ganz in der Nähe meiner Wohnung: An einer großen Kreuzung lehnte ein älterer Mann die Pläne als einziger ab, nachdem seine Nachbarn nach und nach eingewilligt oder aufgegeben hatten.

Dieser Fall und mehr Hintergründe: Families call for fairer urban renewal law

Rund herum hatte der Abriss schon begonnen, aber er harrte monatelang in der Trümmerwüste aus und hängte Transparente aus dem Fenster. So sah es rund um das Haus aus:

Abriss Urbal Renewal Taipei

Mittlerweile hat er doch die Segel gestrichen, und das Haus ist weg.

Sollte es bei uns zum Abriss kommen, werde ich mich nicht an solchen Diskussionen beteiligen – ich bin nämlich nur Mieter und werde mir notgedrungen etwas Neues suchen.

Alt, authentisch und günstig oder neu, schick und etwas teurer: Wohnen Sie in Taiwan? Was sind Ihre Erfahrungen?

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Klaus Bardenhagen

Klaus Bardenhagen

Comments

7 Antworten

  1. Na ja, man spart sich durch die Kauf die ständigen Umzüge, denn die Vermieter haben immer die steigenden Kurse im Kopf und wollen die Mieter zwecks Verkaufs raus haben. So ist es ja uns schon angekündigt worden, für die NEUE Wohnung 😉
    Aber traditionell war das sicher nicht der Grund. Irgendwann kaufen wir wohl auch eine und machen Isolierfenster rein…

  2. Ich wohn ja auch in so einem Ding. Wir mussten aus der alten Wohnung wegen Eigenbedarf raus und in der neuen hat der Vermieter schon angekündigt sie in 2 Jahren verkaufen zu wollen. Ohne Mieter natürlich. Die Preise sind von 6 auf 18 Millionen NT gestiegen seit 2006, daher verkaufen die Vermieter wie die Irren. Und viele Schlichtwohnungen in der Nähe sind bereits abgerissen und durch moderne Bürohäuser inkl. Bentley- und Porschevertretung ersetzt. Alte Wohnungen weg und Nobelapartments und Büros an ihre Stelle. Wohnraum wird wohl immer knapper werden für die Normalverdiener in Taipei. Wollen sie den Weg von London gehen mit unerschwinglichen Wohnungen?

    1. Ganz normale Wohnungen in Taipei City kosten umgerechnet mittlerweile genau so viel oder mehr als in Hamburg. Das ist so pervers, wenn man sich das hiesige Einkommensniveau ansieht.
      Außerdem stehen sie oft ungestraft leer, weil die Eigentümer nur spekulieren wollen und Vermieten zu stressig finden.
      Und dann streitet man noch darüber, ob man überhaupt staatlich geförderten Wohnungsbau braucht, und ob die Wohnungen zu mieten oder zu kaufen sein sollen…
      Es ist natürlich auch nicht hilfreich, dass die Mentalität „Wer heiratet, muss eine Wohnung kaufen“ recht fest in den Köpfen sitzt.

  3. Ich könnte nie mehr in solch einem Gebäude wohnen als auf deinem ersten Bild. Als ich das erste Mal nach Taiwan kam, hat meine Frau eine Wohnung im Untergeschoss solch eines Gebäudes für mich gemietet und es stellte sich raus, dass es gar kein Tageslicht gibt. Ich war damals nur ein paar Wochen drin und hab es überlebt, weil ich meistens in der Stadt unterwegs war. Aber es hat mir gereicht. Worauf ich nicht verzichten könnte ist ein Obergeschoss (10 Stock oder aufwärts) und eine Müllsammelstelle. Wir sind seit Monaten auf der Suche nach einer neuen Wohnung, aber ich bin sehr wählerisch, deswegen wird es noch eine Weile dauern.

    1. Das Tageslicht-Problem kann ich gut nachvollziehen. Zum Glück gibt es auch alte Wohnungen, die zumindest von einer Seite gut Sonne abbekommen (zum Beispiel meine im 3. Stock).
      Aber wenn ich mir neue Hochhäuser angucke, wundere ich mich auch immer sehr, dass die meisten Fenster in den dicken Außenwänden zurückgesetzt und auch noch dunkel abgetönt sind. Würde ich mir so eine Wohnung kaufen, wäre meine erste Bedingung, dass die Handwerker anrücken und vernünftige Fenster installieren. (Isolierfenster, wo wir schon dabei sind….)

  4. very interesting article.
    it is common here that owners of top floor apartments simply build / add another one on top of it.
    no one cares. even it endangers the whole building, espacially if one considers regular earthquakes.
    although it is for everyone to see, all over the city, i dont know that anything is being done about it.
    those top additions are mostly illegal.
    but in good locations they are worth millions …

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